Die Umwelt in sich aufnehmen. Ein Gespräch mit Naomi Liesenfeld

Im Rahmen der Offenen Ateliers 2019 traf Theresa Widua die Künstlerin Naomi Liesenfeld (*1982) für das Kulturmagazin LeFlash. Im Interview erfährt man einiges über ihre Arbeitsweise, die verwendeten Materialien und ihre Inspirationsquellen.
Theresa Widua: Du arbeitest seit dem Jahr 2017 als Stipendiatin des Bonner Kunstvereins hier im Atelierhaus. Wie hat sich Deine Kunst verändert, seit Du in diesem Atelier arbeitest?

Naomi Liesenfeld: Ein Raum beeinflusst eine Arbeit natürlich. Ich habe in Saarbrücken eine Zeit lang zu Hause gearbeitet, oft in der Küche und manchmal zum Leidwesen meiner damaligen Mitbewohner. Ich meine nicht, dass in kleinen Räumen nur kleine Arbeiten entstehen und nur in großen Räumen große Arbeiten, aber der Raum ist ein Kontext als Wirklichkeitsraum, um Dinge zu denken, zu entwickeln und auszuprobieren. Während des Einzugs hier ins Atelierhaus habe ich versucht zu sortieren, auch stark auszusortieren. Ich glaube das ist mir mäßig gut gelungen. Ich sammle gern. Ein Ortswechsel ist auch immer ein kleiner Neuanfang. Meine Arbeitsweise hat sich hier aber nicht groß verändert, nur habe ich jetzt viel Platz für den ich dankbar bin.

T.W.: Was dient Dir als Inspirationsquelle für Deine Arbeit?

N.L.: Der Prozess ist wichtig. Erstmal ergebnisoffen arbeiten. Einer Frage folgend mit verschiedenen Materialien umgehen, diese bearbeiten und etwas daraus entwickeln. Oft sind es kleine Sichtungen und Erlebnisse im Alltag. Den Malereien mit Früchten und Gemüsen geht voraus, dass ich mit Freunden „Farben trinken“ praktizierte. Dazu habe ich Säfte gekauft, auch einige Früchte selbst entsaftet, dann sind keine Konservierungsstoffe darin. Diese haben wir dann nach Farben sortiert, uns vorgestellt wie sie schmecken und dann probiert und gemischt. Das Ergebnis war oft überraschend. Naja, und beim Verköstigen kommt einem so eine Farbe schon ziemlich nah. Mich interessieren Arbeiten, die keinen fixen Zustand haben, sondern denen die Qualität der Wandlung innewohnt. Inspiration sauge ich von allem auf, was mich umgibt. Das kann ein Kleidungsstück sein, welches über einem Stuhl hängt und eine gewisse Wölbung hat, die Wurzel einer Pflanze oder eine Farbsubstanz aus der Natur, die auf Textil eine Spur hinterlässt und sich dann nochmal verändert. Oft sehe ich aber auch erst später, welchen Ursprung die Inspiration hat.
T.W.: Wie suchst Du die Pflanzen aus, aus denen Du dann Farbe herstellst?

N.L.: Natürlich spielt die Jahreszeit eine Rolle. Ich gehe viel spazieren, gehe gerne in Gärtnereien und Botanische Gärten. Die Farbigkeit und Textur von Blüten und Blättern teste ich manchmal schon vor Ort. Das Gesammelte wird im Atelier dann je nachdem gerieben, gestampft, gekocht und gedörrt. In diesen beiden Werken siehst du einen Blütenabrieb von Mädchenauge und Rittersporn auf säurefreiem Bütten (zugegen / von dannen VI, 2018 Rittersporn, Blau auf Büttenpapier, Blütenabrieb). Sie sind für eine Ausstellung im Ulmer Kunstverein vor etwa einem Jahr entstanden. Ich bin selbst überrascht, dass ich die Veränderung der Farbigkeit kaum wahrnehme, obwohl sie sich sicher verändert haben. Eine Frage der Wahrnehmung – ohne Referenz-Farbe ist das schwierig.

T.W.: Welche Rolle spielt der Raum, in dem Du Deine Arbeiten ausstellst?

N.L.: Eine wichtige. Ich versuche mich auf den Raum einzulassen. Welche Geschichte hat er? Wann fällt wo Licht ein? Oft entwickele ich eine Arbeit speziell für einen Ort. Meine Wandmalereien bleiben ja, im Gegensatz zu anderen Arbeiten, an diesem Ort und werden mit ihm eins. Wenn ich Saft auf Papier oder Wand auftrage, gibt es immer eine Reaktion. Dann bearbeiten Zeit, Licht und Sauerstoff meine Arbeit im Raum. Sie wird weniger sichtbar und wahrnehmbar, aber verbleibt doch vor Ort. Sie schreibt sich ein, auch wenn sie z.B. nach der Ausstellung überstrichen wird.

T.W.: Du hast an der Hochschule für Bildende Künste Saar „Konzeptuelle Malerei“ studiert. Was ist Deiner Meinung nach das Konzeptuelle an Deiner Kunst?

N.L.: Liegt nicht jeder künstlerischen Arbeit ein Konzept zugrunde? Tatsächlich war das während meines Studiums öfter Thema in Klassenbesprechungen. Ich habe Konzeptuelle Malerei bei Katharina Hinsberg und Bildhauerei / Public Art bei Georg Winter studiert. Irgendwo dazwischen würde ich meine künstlerische Arbeit verorten. Vielleicht haben meine Arbeiten gemein, dass sie häufig ergebnisoffen sind. Der Weg und das Forschen spielen eine große Rolle; nicht genau zu wissen, was am Ende dabei herauskommt treibt mich an. Das ständige Überrascht-Werden. Ich habe spielerische Freude am Ausprobieren und Erproben. Den Arbeitsprozess zu beobachten kann manchmal ähnlich interessant sein, wie das Ergebnis dieses Arbeitsprozesses. Wann beginnt eine künstlerische Arbeit? Beim ersten Gedanken daran, oder bei der Auswahl und Bearbeitung der Materialien? Hier habe ich mehr Fragen als Antworten und ich glaube, dass es diese Fragen sind, die einen manchmal weiterbringen.

T.W.: Du verwendest für Deine Arbeiten natürliche Farben und Bildträger. Wie wichtig ist Dir dabei der Aspekt der Nachhaltigkeit?

N.L.: Kunst muss frei sein! Ich entscheide mich für Werkstoffe oder arbeite einfach mit Materialien, mit denen ich mich gern umgebe. Ich mag den Geruch von Leinengewebe und Ölfarbe, die Oberfläche von geschöpften Papieren und dass ich die verwendeten Farben auch manchmal verköstigen kann.

T.W.: Du arbeitest mit vielen unterschiedlichen Materialien. Wie gehst Du bei der Auswahl dieser Materialien vor?

N.L.: Meistens ist das sehr intuitiv. Ich habe einen großen Materialfundus, aus dem ich schöpfen kann und folge meinen Interessen.

T.W.: Wie sieht bei Dir der Arbeitsprozess aus?

N.L.: Ganz unterschiedlich. Alles beginnt im Chaos. Ich habe eigentlich immer ein Büchlein dabei, in das ich schreibe, zeichne und in dem ich Ideen festhalte. Dann entstehen manchmal in wenigen Tagen hunderte von Fotos zur Recherche. Je nach Arbeit mache ich Tests und Versuche, Materialproben etc. Wenn ich z.B. entsafte, habe ich oft den Trester übrig. Ein Nebenprodukt, das ich anfing zu trocknen und zu sammeln. Weil ich bei einer früheren Arbeit mit Baumwolle und Zellulose arbeitete, kam mir die Idee aus dem Trester Papier zu schöpfen. Also habe ich den Trester in Wasser quellen lassen und geschöpft. Die ersten Gemüsepapiere zerfielen oder der Trocknungsprozess dauerte zu lange. Durch viele Versuche fand ich dann ein Wurzelgemüse, das taugte: Die Karotte! Während des Trocknungsprozesses verziehen und wölben sich die kleinen Papiere. Erst mal war das nur eine Beobachtung. Mir gefällt, dass ich nie vorhersagen kann, wie sich die Form entwickelt. Der Saft wurde dann das Nebenprodukt und auf den Karottentrester trage ich nun Tinte auf. (Ohne Titel, 2019 Tinte auf Karottentrester 13 x 7 x 5 cm).

T.W.: Unter welchen Bedingungen kannst Du am besten arbeiten?

N.L.: In meinem Atelier als geschützten Ort. Mit freiem Kopf und Zeit ohne Ende, um in die Arbeit einzutauchen. Es ist nicht immer leicht diese Bedingungen zu schaffen. Offenheit, gedankliche Freiheit und Neugierde sind elementar. Persönliche und finanzielle Sorgen wirken kontraproduktiv.

T.W.: Was beschäftigt Dich momentan bzw. mit welchen Fragestellungen setzt Du Dich derzeit im Hinblick auf Deine Arbeit auseinander?

N.L.: Mein Arbeitsprozess ist vielleicht spiralförmig. Die Wiederholung interessiert mich nicht. Ich lese in der Regel auch kein Buch zweimal. Ich arbeite gern an mehreren Projekten zur gleichen Zeit, da sich diese aus meiner Erfahrung oft gegenseitig befruchten. An den Rändern der Kunst finden sich spannende Felder. Mein Interesse gilt Momenten, in denen sich eine Fläche, also ein fast zweidimensionales Gebilde, in einen Raum begibt. Eine Fläche, die selbst versucht eine Art von Raum entstehen zu lassen. Keinen Raum im Raum, sondern viel eher ein räumliches, ein sich ausdehnendes Gebilde. Material, welches sich vom Grund erhebt.

T.W.: Vielen Dank für das interessante Gespräch, Naomi!