Interview mit der Regisseurin Eva-Maria Baumeister zu Alles in Strömen- Das Versprechen der Resonanz

Anlässlich der Uraufführung von Alles in Strömen-Das Versprechen der Resonanz am 20.1. im Freien Werkstatt-Theater Köln traf Cihan Simsek von LeFlash die Regisseurin Eva-Maria Baumeister, um mehr über ihre Vorgehensweise und das Künstler*innenkollektiv Polar Publik zu erfahren.
Cihan Simsek: Welche Ziele verfolgst du mit deiner Kunst?

Eva-Maria Baumeister: Ich glaube, was mich grade an dem Genre Theater interessiert, wo es um ein unmittelbares Zusammenkommen und dem Ausloten von kollektiven Prozessen geht, ist die Begegnung von fremden Kontexten. Wie kann der Kunstraum neu geöffnet werden? Wen meinen wir mit unserem Publikum? Welche Sprache sprechen wir nach außen und wen adressieren wir? Dabei wird auch oft gesagt „Ich will ein diverseres Publikum“. Aber was heißt das eigentlich und wen meint man damit?

C.S: Aber vielleicht heißt es auch neue Wege zu finden, um das Publikum mit einzubauen?

E.M.B.: Genau, es hat ganz viel mit Raum zu tun, also auch die Rezeption von Leuten. Wie und wo sitze ich? Aber das fängt für mich schon woanders an. Im Theater ist es auch (in der freien Szene) oft so, dass man eine Sprache in den Ankündigungen hat, die sehr schwer zugänglich ist. Will man das? Ich meine, man kann es natürlich so machen. Ich finde es total legitim. Aber da kreise ich drum, das merke ich.

C.S: Neben deiner Tätigkeit als Regisseurin hast du ja auch als künstlerische Leitung bei dem Projekt „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ mitgewirkt. Kannst du mir mehr darüber erzählen? Weil die Vorgehensweise eine andere ist, als bei deiner Regisseurtätigkeit.

E.M.B: Ja, ist es tatsächlich. Es ist vom Arbeitsprozess was anderes. Aber die Fragestellungen beim Kuratieren sind ähnlich. Also, welche Künstler*innen lädt man ein? Auch die Frage, was diese Wahl dann für ein Statement setzt, ist entscheidend. Aber auch, was der Ort aussagt. Bei „Die Stadt von der anderen Seite sehen“ waren wir ja im Stadtraum und da haben wir immer geguckt, wo wir sind und wer da eigentlich lebt, ob man da kooperieren möchte. Oder möchte man sich da reinsetzen, um zu irritieren. Deshalb sind es in dieser Metaebene schon ähnliche Fragestellungen. In der konkreten Arbeit ist es dann natürlich was ganz anderes. Also konkret, mehr organisieren, mit Künstler*innen kommunizieren, gucken, dass gute Bedingungen vorhanden sind.

C.S: Das macht ja auch das Kuratieren aus, dass man mit den Künstler*innen zusammen arbeitet und nicht allem freien Lauf lässt.

E.M.B: Genau! Ich meine, da braucht auch jeder was anderes. Die einen möchten das total und die ein oder anderen brauchen eher eine konzentrierte Arbeit alleine. Ich glaube, so ein gegenseitiges Interesse ist wichtig. Dass man merkt, mit wem bin ich hier und was machen die anderen. Das ist natürlich in der Bildenden Kunst nochmals anders. Da steht ja das Visuelle im Vordergrund. Im Theater vergibt man oft Aufträge.

C.S: Meine nächste Frage bezieht sich auf euer aktuellstes Stück „Alles in Strömen“, wo es ja auch um resonante Beziehungen geht. Sowohl zu sich selber als auch zu seinem Umfeld. Wie ist dieses Konzept entstanden?

E.M.B: Es war ein kollektiver Prozess und wir haben das gemeinsam entschieden. Die Idee dazu kam im Zuge unseres letzten Projektes zustande. Da ging es um die Proteste in Belarus. Und da kam oft die Frage auf „Wann hallt eigentlich etwas nach?“. Also was passiert in Belarus und wie reagiere ich darauf? Wann bewegt uns was und wann stehen wir dafür auf? Das war etwas, was uns ästhetisch und musikalisch interessiert hat. Daraus hat sich das Interesse für das akustische Resonanzphänomen entwickelt. Und dann haben wir uns gedacht, dass man dieses Phänomen auch auf soziale Fragen und Prozesse anwenden kann und sind dabei auf Hartmut Rosa gestoßen. Anschließend dachten wir uns, das ist es. Das ist unser nächstes Thema.

C.S: In der Arbeit ist ja auch ein Grundsatz der Ubuntu Philosophie „Ich bin, weil du bist“ verortet. Wie viel davon ist in eurer Inszenierung drin?

E.M.B: Also die Grundidee trägt das komplette Stück. Das ist die Frage, die von Anfang an gestellt wird: Was brauchen wir für eine „gelungene Weltbeziehung“? Was brauchen wir für diese Sehnsucht, dass die Welt mir antwortet, um das zu gewährleisten? Was brauche ich da in mir selbst? Und da orientieren wir uns auch stark an Hartmut Rosa, der das ja anhand von vier Komponenten durch dekliniert hat, die für ihn die Voraussetzung für eine resonante Weltbeziehung sind. Ganz wichtig ist für uns aber, das unmittelbar sinnlich erlebbar zu machen. Das funktioniert bei uns ganz stark über eine akustische Ebene, wo man auch wirklich Raumresonanz spürt. Akustische Resonanzen. Körperliche. Es geht also nicht nur darum, es sprachlich zu beschreiben, sondern im Raum erlebbar zu machen.

C.S: Polar Publik steht ja für Interdisziplinarität. In eurem Kollektiv sind viele Richtungen dabei, von Dramaturgie bis hin zur Bildenden Kunst und du als Regisseurin. Wie seid ihr 2020 zusammengekommen?

E.M.B: Ich glaube, das war die Arbeit 2019 zu der Umsiedlung im Braunkohlerevier. Verschwindende Orte. Da habe ich alle, die jetzt im Kollektiv sind, eingeladen mitzuarbeiten und gemerkt, dass dieser Blick aus dem jeweiligen Genre schön ist. Es kann auch kompliziert und schwierig werden. Jeder spricht künstlerisch gesehen eine andere Sprache. Dadurch kann aber sowas Drittes entstehen, was total wertvoll ist. Dann habe ich 2020 mitten im ersten Lockdown gefragt, ob wir nicht ein Kollektiv gründen sollen und anschließend ging es ganz gut los.

C.S: Ich finde es faszinierend, wie transdisziplinär ihr seid und dadurch viele künstlerische Perspektiven beleuchtet. Bei euch sind die Themen Ohnmacht und Machtgefälle einige Eckpunkte eurer Auseinandersetzung. Was habt ihr noch für Themen?

E.M.B: Bei dieser Arbeit ist es ja Resonanz. Und bei unserem nächsten Projekt wird es um das Thema Brüche gehen. Und ich glaube, dass es ganz oft Felder sind, die man metaphorisch verstehen kann. Wir werden uns das Thema Bruch auch physikalisch zusammen mit einem Bruchforscher angucken. Und das ist ja gleichzeitig eine Metapher für gesellschaftliche Prozesse. Bei der Resonanz ist das auch so. Man kann es akustisch gesehen verstehen, zum anderen kann man es als Metapher für soziale Prozesse anwenden. Ich glaube ein Interesse an Phänomenen, die man sowohl wissenschaftlich als auch metaphorisch für die Gesellschaft ansehen kann. Dort liegt unser Interesse.

C.S: Bei eurem Projekt „Geld, wir müssen reden“ ging es ja auch um den Gedanken, dass durch die Corona-Pandemie der Geldmarkt zum Stocken kam und der damit verbundene Konsum an Sinnhaftigkeit verloren hat. Und auch bei „Let’s sing another song“ waren die ganzen Proteste während der Corona-Zeit im Zentrum der Arbeit. Wie kann man die Corona-Thematik jetzt mit eurem aktuellen Stück in Verbindung setzen? Weil die Gesellschaft in den zwei Jahren immer wieder gemerkt hat, wie sehr wir als menschliche Wesen auf soziale Kontakte angewiesen sind. Auch wenn diese zwischenzeitlich nur über Plattformen wie Zoom möglich waren.

E.M.B: Die Frage, ob wir über digitale Benutzeroberflächen Resonanz empfinden können, ist sehr wichtig. Und ich finde, dass Zoom ja ganz großartige Kommunikationswege offengehalten hat. Also ein Aspekt der Resonanztheorie von Hartmut Rosa ist die der Unverfügbarkeit. Wir können nur Resonanz empfinden, was ungreifbar bleibt. Was sich so ein Stück entzieht. Und ich glaube, dass hier die Gefahr ist, dass wir uns ein wenig durch diese digitalen Benutzeroberflächen und Räume diese Sehnsucht nach der Verfügbarkeit stillen. Dadurch verlernen wir etwas, was schön ist. Nämlich, dass etwas nicht greifbar ist.

Titelbild:

© Lynn Al-Abiad