Der Bonner Kunstverein beschäftigte sich mit den Schwell- und Schnittpunkten der Fürsorge in Beziehung zu Mensch, Natur und Organisation in „The Holding Environment“.
Bis in die erste Augustwoche hinein war The Holding Environment im Bonner Kunstverein für Besucher*innen zu sehen. Das zweite Kapitel der Ausstellung, welches mit kleinen Veränderungen nach einer Phase des geplanten Überdenkens Anfang Juli begann, ist der zweite Teil eines Konzeptes, das die Direktorin Fatima Hellberg mit dem Bonner Kunstverein aufgestellt hatte.
24 internationale Künstler*innen nahmen an der Ausstellung teil, die sich primär mit dem Themenkomplex der Fürsorge beschäftigte und ausschöpfte, wie der Gedanke weiter definiert werden kann. Das sprachliche Wortfeld der „Fürsorge“, welches eher positiv konnotiert ist, wurde auf verschiedene Weise aufgegriffen und in Frage gestellt.
Sowohl zwischenmenschliche Beziehungen, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur, als auch die Beziehung eines Staates zu seiner Bevölkerung wurden künstlerisch realisiert.
Bereits John Knights Schild Bahnhofsmission, das anstelle des Straßenschildes des Bonner Kunstvereins in die Ausstellung einleitete, ist geprägt von dem Aspekt der Sorge und der Hilfe.
Der Verein, der internationale Positionen ausstellt und sich zum Teil von Mitgliederbeiträgen finanziert, kann im Allgemeinen als alternative Institution wahrgenommen werden, die sich bewusst abgrenzt.
Von Mensch zu Mensch
Zu Beginn der Ausstellung thematisierte der niederländische Maler Co Westerik die Motivik des Fleisches und der Körperlichkeit. Sein Fokus liegt auf Formen wie Händen, Pflanzen oder die Figur des Kindes. Im Kontext der Ausstellung lassen sich in seinen Arbeiten immer wieder zwischenmenschliche Beziehungen erkennen, wie die einer Mutter zu ihrem Kind, oder einer Person, die die Hand einer anderen hält. Seine Bildserie zeigt die Menschen malerisch im Kontext der Natur; der Fokus liegt auf den Schnittpunkten von Übergängen. Ein Kind, das das Licht der Welt erblickt, schmerzvoll aus dem blutigen Unterleib gepresst. Zwischen dem Abschnitt der Oberschenkel der Mutter ist eine Naturlandschaft zu sehen, als würde das Kind direkt dort hineingeboren werden. Ob die Darstellung exemplarisch für die Beziehung von Mensch zur Natur oder von Mensch zu Mensch gedeutet werden kann, ist dem Betrachter überlassen. Die Gefühle der Fürsorge und Liebe, die ein Kind erweckt, scheinen gepaart mit der Brutalität und den Schmerzen der Geburt.
In dem Werk Handkiss with white background wird eine Hand sanft von einer Anderen gedrückt. Dieser Akt der Zuneigung lässt die Adern hervorstechen, durch die das Blut und Leben fließt. Auffällig in dem Werk ist die Farbgebung der oberen Hand, deren Blässe als Übergang vom Leben zum Tod verstanden werden kann. Der Aspekt des Haltens wird auch in dem Titel der Ausstellung thematisiert. Das Festhalten der Umgebung und besonders das Innehalten in der Umgebung spiegelt sich in dem Werk wieder.
Co Westerik, Birth, 2015, Tempera, Alkyd und Öl auf Leinwand, 70 x 90 cm Foto: Leonie Pietrovicci, Courtesy Westerik Foundation
Co Westerik, Handkiss with white background, 2014, Tempera, Alkyd und Öl auf Leinwand, 95 x 115 cm, Foto: Leonie Pietrovicci, Courtesy Westerik Foundation
Der Staat und seine Bevölkerung
Eine Arbeit, die die Beziehung von Mensch zum Staat auf verblüffende Weise aufzeigt, ist die im ersten Kapitel von The Holding Environment ausgestellte Videoarbeit des US-Amerikaners William Pope.L. Eine Schar von Hühnern und Ziegen fallen auf ein aus Pappe gebautes Kapitol her. Die Kuriosität der Arbeit ist nicht die Umsetzung der Ereignisse die 2021 in den USA stattfanden, bei denen Trump Anhänger das Kapitol in Washington stürmten, sondern die Tatsache, dass die Arbeit bereits 2008 entstand. Aus heutiger Sicht, wirkt sie wie eine beunruhigende Vorahnung und offenbart die Schnitt- und Kipppunkte der Staatsführung.
Die weiter hinten im Raum platzierte Konstruktion, entworfen und gebaut von Tolia Astakhishvili und James Richards, erinnert an ein Gefängnis, eine gesetzliche Institution die sich um die Menschen „kümmert“, die nicht in die Gesellschaft passen. Ein Konstrukt das Brutalität, Entwürdigung und Fürsorge vereint. Welche zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb der Räume entstehen, wenn sie in Gebrauch treten, lassen sich nur erahnen.
Kollegialität, Fürsorge oder Ablehnung?
Tolia Astakhishvili und James Richards, Tenant, 2021, verschiedene Materialien, Größe variabel, Foto: Mareike Tocha, Courtesy die Künstler*innen, Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; Rodeo, London and Piraeus
Tolia Astakhishvili und James Richards, Tenant, 2021, verschiedene Materialien, Größe variabel, Foto: Mareike Tocha, Courtesy die Künstler*innen, Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; Rodeo, London and Piraeus
Tolia Astakhishvili und James Richards, Tenant, 2021, verschiedene Materialien, Größe variabel, Foto: Mareike Tocha, Courtesy die Künstler*innen, Cabinet, London; Isabella Bortolozzi, Berlin; Rodeo, London and Piraeus
Ausweitung des Raumes und Bezug auf die Natur
Nicht nur die Unterteilung in zwei Kapitel zeichnete diese Ausstellung aus, sondern auch die Sicht auf den Ausstellungsraum. Das bereits genannte Gefängniskonstrukt verband sich mit der Umgebung und interagierte mit der Architektur des Vereins. Die veränderte Sicht war jedoch schon beim Betreten des Einganges zu erkennen. Anstatt der gewohnten freien Sicht auf den Ausstellungsraum, stand der Besucher vor einer Treppe, die genau diesen Blick verwehrte. Oben war nicht nur die Sicht in die Halle gegeben, sondern auch auf die linke Partie des Raumes. Eine Wand teilte den Raumabschnitt in zwei Hälften, in der zwei Schaukästen untergebracht waren. Einer wurde von Ada Frände mit kleinen Vögeln bestückt die auf Zweigen sitzen, dem Betrachter gefällig, unfähig wegzufliegen. Eine eingefangene Natur, kanalisiert und entfremdet von der Natürlichkeit.
Die Ausstellung begrenzte sich dieses Mal nicht nur auf den Ausstellungsraum, sondern nutzte den Platz des alten Cafés für eine Installation von Velt Laurent Kurz und verlief hinter der Artothek weiter in die „privaten“ Räume des Kunstvereins. Gelockt wurde der Besucher von dem Gesang und den Worten des Künstlers und Filmemachers Gregg Bordowitz, sowie dem Musiker Morgan Bassichis. In der Videoarbeit von 2021 wird ein Raum von Geist, Seele und Glauben eröffnet.
Zerbrechlichkeit und Sterblichkeit verbinden sich mit der Lebenskraft des Körpers, der zur Selbstheilung neigt. „This is the fast I want“ klang weiter im Ohr, während einen die Aufnahmen der Blätter an einem Baum in der abgedunkelten Atmosphäre des Raumes einnahmen.
Ada Frände Fenster II, 2021, verschiedene Materialien, 175 x 146 cm, Foto: Mareike Tocha, Courtesy die Künstlerin
Gregg Bordowitz, Morgan Bassichis, This is the fast I want, 2021, Video, Farbe, Ton 5 Min 12 Sek, Foto: Mareike Tocha, Courtesy die Künstler
The Holding Environment war vom 04.07. – 08.08. im Bonner Kunstverein zu sehen.
Mit Tolia Astakhishvili, Morgan Bassichis, Gregg Bordowitz, Sarah Davachi, Sara Deraedt, Jason Dodge, Martin Erhard, Annika Eriksson, Ada Frände, Michael Fullerton, Michael Kleine, John Knight, Marc Kokopeli, Pope.L, Carolyn Lazard, Rachel Reupke, James Richards, Marianna Simnett, Niklas Taleb, Co Westerik und Jiannan Wu
Kuratiert von Fatima Hellberg
Bonner Kunstverein und Artothek
Hochstadenring 22
D-53119 Bonn
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr
Donnerstag bis 19 Uhr
Montags geschlossen