LeFlash: Bei Deinen Kunstmaschinen handelt es sich um kinetische Objekte, die per Elektromotor oder manuell in Bewegung gesetzt werden können. Welchen Stellenwert misst du dem Bewegungsmotiv bei?
Willi Reiche: Kinetik lässt sich nicht nur auf Elektromotor und Handkurbel reduzieren. Es gibt weitere Antriebselemente wie Wind, Wasser und Feuer, wobei Wind und Wasser traditionell vorrangig sind. Man denke nur an die Wind- oder Wassermühle. Auch durch die Bewegung hervorgerufene Klänge spielen für die Kinetik eine wichtige Rolle.
Der Stellenwert der Kinetik wächst meiner Ansicht nach. Das „Mechanical Art & Design Museum“ in Stratford (England) ist beispielsweise sehr erfolgreich. Hier steht der Unterhaltungswert im Vordergrund. Es werden viele kleinere Werke (Automata) und Steampunk präsentiert.
Meine kinetischen Werke würde ich nicht als hehre Kunst ansiedeln, sondern sie sollen Spaß bereiten. Dem schmunzelnden Betrachter sieht man das an. Über das selbstständige Anschalten der Maschinen per Betätigung eines Tastschalters erfährt der Betrachter einen Selbstbelohnungsmoment. Vielleicht sogar einen Glücksmoment, der wiederum rückkoppelbar auf mich als Künstler ist.
LeFlash: Deiner eigenen Aussage nach widmen sich die Kunstmaschinen dem Wandel der Zeit und gesellschaftlichen Veränderungen. Die meist anachronistischen, weggeworfenen Einzelteile sind für Dich zunächst „totes“ Material, in ihrer Kombination mit anderen Teilen allerdings entsteht neues Leben, neue Poesie. Werden die anachronistischen Gegenstände auch durch die Bewegung der Maschinen wieder aktualisiert?
Willi Reiche: Sie werden nicht direkt aktualisiert, aber sie erfahren durch die kinetische Inszenierung eine Aufwertung, wecken Erinnerungen, rücken in den Fokus. Indem der Betrachter hinterfragt, werden unbekannte oder vergessene Dinge wieder präsent. Die Bewegung zieht die Blicke dabei in besonderem Maße an.
LeFlash: Unweigerlich erinnern Deine Kunstmaschinen an Arbeiten Jean Tinguelys. Im November 2016 warst Du an der Ausstellung „Hommage an Jean Tinguely“ in Montreux (Schweiz) beteiligt. Inwiefern lässt Du Dich von Tinguely inspirieren? Was ist Deinem Werk eigen?
Willi Reiche: Der Übervater Tinguely wird gerne strapaziert. Ich habe lange gebraucht, um mit der Anfertigung kinetischer Arbeiten zu beginnen. Zunächst habe ich ausschließlich Werke statischer Natur entwickelt, Metallmöbel und Kleinplastiken. Lange Zeit hatte ich zu viel Ehrfurcht und Respekt vor Tinguelys Arbeit, schließlich hat er als Vorreiter ja gewissermaßen das Rad in der Kunst erfunden. Das hat sich aber irgendwann gelegt. Ich dachte mir: Maler malen doch auch mit dem Pinsel. Der Kinetiker arbeitet eben gerne mit Räderwerk und genau das probiere ich jetzt aus. Und siehe da: Es funktioniert und macht richtig Spaß. Nach mittlerweile ungefähr 60 kinetischen Arbeiten habe ich mich emanzipiert und eine eigene Handschrift entwickelt. Tinguely hatte in den 1950er und 1960er Jahren den Ansatz, mit seinen Arbeiten die Kulturwelt zu schockieren. Aus Schrott zusammengesetzte Objekte waren auf dem Kunstmarkt ein Tabubruch. Der Aufschrei war dementsprechend groß, nur gelang ihm durch Freunde, Mäzene, Museumsbetreiber der internationale Durchbruch – bewundernswert!
Anders als in Tinguelys Werk steht in meinen Arbeiten die Ästhetik sehr im Vordergrund. Viele meiner Modelle hätte Tinguely so nie gebaut; ihm ging es vor allem um Provokation, in meiner Anordnung und den Bewegungsabläufen hingegen erkenne ich ein hohes Maß an Harmonie. Die Arbeit „Hommage I“ war als kinetisches Erstwerk bewusst nah an Tinguely angelehnt, ich habe aber meiner eigenen Fantasie freien Lauf gelassen. Mich fasziniert besonders der Formenreichtum ausgedienter Gegenstände.