Wie man die Welt versteht. Ein Interview mit dem Künstler Alwin Lay

LeFlash ist wieder zu Gast im Atelier. Diesmal bei dem Künstler Alwin Lay (*1984), der im Januar 2019 ein Atelier im Atelierhaus des Bonner Kunstvereins bezogen hat. Im Interview, geführt von Joëlle Warmbrunn, erfahren wir einiges über seine künstlerische Arbeitsweise, zukünftige Projekte und die Verletzlichkeit des intimen Atelierraums in Situationen wie den Offenen Ateliers.
Joëlle Warmbrunn: In Deinem Werk forderst Du die Wahrnehmung der Betrachter*innen heraus, indem die uns bekannten Naturgesetze oder Ordnungsprinzipien, keine Wirkung zu scheinen haben. Beispielsweise wirkt es in „Do it“ (2016) und „Ein Tropfen Gelb“ (2016) so, als gebe es die Schwerkraft nicht, wenn sich eine schwere Gaffatape-Rolle auf ihren eigenen Klebestreifen stützt. Welche Bedeutungen haben solche Ordnungen und ihr Verlust für Dich?

Alwin Lay: Ordnung ist mir wichtig auch wenn ich Sie selten finde. „Verlust“ ist nicht passend. Verlust von Ordnung wäre Chaos, aber es ist die Ordnung, wie wir die Welt verstehen, die mich interessiert. Es gibt also Strukturen und Regeln, die wir im Grunde alle innehaben, um die Welt da draußen zu begreifen. Ich denke deshalb, anders als im wahren Leben herrscht in meiner Arbeit eine ganz gute Ordnung. Die Schwerkraft gilt ja immer – z.B. sieht man bei „Do it“ (2016) eine Gaffatape Rolle, die sich quälend aufbäumt. Sie widersetzt sich in gewisser Form. Deswegen nenne ich die Objekte gerne Täter. Nun glaube ich an eine aktive Form der Beobachtung. Verstehen von dem was, man sieht ist keine objektive Angelegenheit.

J.W.: Und Opfer ist dann wer?

A.L.: Opfer? Täter nicht im kriminologischen Sinne, sondern im Sinne von Tun. Die Täter sind vielleicht Opfer ihres eigenen Handelns.

J.W.: Wie empfindest Du diese Realität, die sowohl von Dir als auch von den Betrachtenden hinterfragt wird?

A.L.: Ich glaube, die Art und Weise, mit welcher Vorstellung von Ordnung im Geiste man auf die Welt schaut, beeinflusst sehr stark, wie man sie sieht. Ich würde sagen, dass unsere jetzige westliche Welt eine sehr arrogante, eine ziemlich strenge und steife Sicht auf diese Welt hat. Ich glaube, dass es fast die Aufgabe der Kunst sein müsste, an der „Wahrnehmungsschraube“ zu drehen. Z.B. bei einer Kaffeemaschine, die sich selbst ertränkt, könnte man durchaus auch gesellschaftskritische Ansätze sehen, aber im Grunde geht es um ziemliche banale Sachen.

J.W.: Deine Arbeit ist also gesellschaftskritisch, aber nicht auf einer offensiv politischen Ebene, sondern eher auf einer subtilen, einer alltäglichen Ebene?

A.L.: Ja, dem würde ich zustimmen. Mich interessiert explizit politisches nicht. Aber ich glaube, dass in diesen banalen Dingen eine sehr große Kraft steckt, die wiederum solche Auswirkungen haben kann.
J.W.: Lässt sich so Deine Faszination der alltäglichen Objekte in Deiner Arbeit erklären, wie z.B. die Verwendung von Kaffeemaschinen, Schwämmen, Kabelbindern oder Spülmitteln? Wie kommst du denn zu der Auswahl Deiner Objekte? Sind das Objekte, die Du in Deinem Atelier oder Haushalt findest?

A.L.: Das läuft nicht nach Lehrbuch, es gibt keine Liste, die ich abarbeite. Manchmal ist es der Baumarkt, der als Inspirationsquelle dient, oder ich sehe etwas im Schaufenster. Dann folgt eine Recherche – was für Modelle es gibt, wann wurden sie entworfen, woher sie kommen. Und dann folgt ein gezielter Kauf. Manchmal ist es aber auch einfach ein spontaner Fund. So sammle und archiviere ich fortlaufend Gegenstände und Ideen aus dem Alltäglichen.

J.W.: Verstehst Du diese Kernobjekte auch als Teil des Kunstwerks? Wenn Du etwas ausstellst, würdest Du es als Teil dessen mit ausstellen?

A.L.: In der Regel nicht. Ich sehe es aber als essenziell an, in meinen Arbeiten den Blick des Betrachters genau zu lenken. Das kann die Fotografie ganz gut. Da gibt es manchmal Ausnahmen, z.B. bei „mod.CLASSIC“ (2012), bei der Espressomaschine.

J.W.: Die Espressomaschine, die sich selbst ertränkt.

A.L.: Genau. Das ist eine zweiteilige Arbeit. Der eine Teil ist dieses Handbuch, das im Cover des Originalhandbuchs der Espressomaschine „mod. CLASIC“ von Gaggia gehalten ist und der zweite Teil ist die mit Espresso vollgelaufene Glashaube auf dem weißen Sockel. Durch das Volllaufen hat die Kaffeemaschine ihr eigenes Bild ausgelöscht. Somit habe ich sie als Skulptur zeigen können – das hat für mich wunderbar funktioniert.

J.W.: Hier funktioniert das, weil es die Veränderung in der Wahrnehmung, diese Irritation, immer noch gibt.

A.L.: Genau. Man weiß, die Kaffeemaschine hat sich darin ertränkt. Wie bleibt ein Rätsel. Darüber gibt das Buch einen lückenhaften Aufschluss, aber der Film läuft im Kopf ab.

J.W.: Wenn Du sagst, „das Wie bleibt ein Rätsel“: Gibst Du generell ungern Aufschluss darüber, wie Deine Werke entstanden sind, damit diese Wahrnehmungsveränderung, in diesem Fall die Täuschung ihre Wirkung behält?

A.L.: Ja, äußerst ungern. Es sind ja nicht irgendwelche Tricks, um die es geht. Sondern um die Leerstelle zwischen dem was man sieht und dem was man gerne gesehen hätte.

J.W.: Viele Deiner in Ausstellungen zu sehenden Fotografien zeigen Deine Objekte derart, als seien sie das Werk. Es scheint, als seien sie Skulpturen im realen Raum, wie bei „Kodak (Mono)“ (2019) oder „Do it“ (2016). Die Fotografie wirkt zuerst wie eine dokumentarische Abbildung einer Ausstellungssituation, als ob die Skulptur das eigentliche künstlerische Werk darstellt. Du spielst hier bewusst mit den verschiedenen Ebenen der Repräsentation. Wo hört die Fotografie auf und wo fängt die Bildbearbeitung an? Wenn Du „Do it“ als Momentaufnahme beschreibst, stellt sich mir die Frage, ob das Gaffatape kurzeitig tatsächlich im Raum stand, oder hast Du die Rolle fixiert?

A.L:. Die Rolle stand tatsächlich so da, wie sie in dem Bild zu sehen ist. Jeder Gegenstand wirft einen Schatten und jeder Gegenstand verdeckt das, was sich hinter ihm befindet. Und desto geringer der Betrachtungsabstand desto größer ist Fläche von dem was man nicht sieht. Das bedeutet, wenn man ganz nah an etwas dran ist, sieht man nichts mehr drum herum.
J.W.: Beschäftigst Du Dich in Deinen Videoarbeiten mit ähnlichen Themen?

A.L.: Es sind genau dieselben Themen. Ich würde sagen, die Fotoarbeiten sind auch Filme. Bei „Urquell/ Fountainhead“ (2015) läuft zum Beispiel das Bier ständig weiter, wie der Titel vermuten lässt und die Wunderkerze in „Permanent Sparkler“ brennt seit 2013 unter der Glashaube. Auf der anderen Seite haben meine Videoarbeiten wesentliche fotografische Qualitäten.

J.W.: An was arbeitest Du grade?

A.L.: Die nächste Ausstellung wird in der Galerie Nino Mier, in Los Angeles am 20. Juli eröffnen. Dann steht nächstes Jahr eine Ausstellung im Fotomuseum Braunschweig an. Und im September zur DC Open werde ich neue Arbeiten in der Galerie Natalia Hug zeigen.

J.W.: Wie empfindest Du – im Gegensatz zu solchen Ausstellungen – die Situation der Offenen Ateliers? Das Atelier ist ja ein sehr intimer Ort.

A.L.: Ein Atelier ist für mich ein sehr intimer Ort. Meine Arbeit verläuft meist in Phasen, in denen das Atelier dann unterschiedliche Funktionen erfüllen muss und dementsprechend aussieht. Wenn ich an neuen Werken arbeite, habe ich es sehr ungerne, dass Leute kommen. Denn dann sind viele Dinge sehr offen gelegt und Du würdest ja auch nicht die Sachen, die unter deinem Bett liegen zeigen. Aber es gibt auch andere Phasen, in denen ist es dann auch „repräsentativ“, jetzt passt es ganz gut und ich freue mich, hier so als Neuling in Bonn meine Türen zu öffnen.

J.W.: Zeigst Du neue, sich im Prozess befindende Arbeiten denn Bekannten?

A.L.: Natürlich, ich habe einen kleinen Kreis an Leuten, mit denen ich über unfertige Arbeiten oder Ideen spreche – meistens auch gegenseitig – das ist sehr wichtig für mich. Viele kenne ich schon aus dem Studium und man tauscht sich weiterhin aus.

J.W.: Vielen Dank für Deine Offenheit und den Einblick in Dein Atelier!