„Von der Unschuld des Atmens“. Ein Interview mit Chris Nolde und Schauspiel Uni Bonn

Was ist Arbeit? Mit dieser existenziellen wie brandaktuellen Frage beschäftigt sich das neue Theaterstück Von der Unschuld des Atmens von Chris Nolde, welches von Schauspiel der Universität Bonn (S.U.B.-Kultur) unter der Regie von Marcus Brien am 12. August im Kuppelsaal der Thalia Buchhandlung uraufgeführt wird. Janina Leferink von Le Flash traf den Autor Chris Nolde und Lena Weyers von Schauspiel Uni Bonn zum Gespräch über das neue Stück.

Le Flash: Seit wann besteht die Theatergruppe Schauspiel Uni Bonn und wie setzt sich das Ensemble zusammen?

C. Nolde & L.S. Weyers: Die Gruppe Schauspiel Uni Bonn wurde 2008 gegründet und besteht seit Beginn an aus Studenten und Absolventen aller Fakultäten, zum Teil auch aus professionellen Schauspielern. Am Anfang waren wir noch eine sehr kleine Gruppe, mittlerweile sind wir im Schnitt ein Ensemble von 12 bis 13 Personen. In der Regel proben wir einmal in der Woche, aber kurz vor den Aufführungen kann es auch vorkommen, dass wir jeden Tag proben, sodass wir sehr intensiv miteinander arbeiten. Geleitet wird die Gruppe von Marcus Brien, der selbst Schauspieler und langjähriger Schauspiel-Dozent ist. Er spornt uns immer wieder an, unser Bestes zu geben und hat einen sehr guten Blick für das Psychologische. Er besitzt das Talent, komödiantische Elemente mit durchaus ernsten Themen in Einklang zu bringen, weshalb wir sehr dankbar sind, mit ihm arbeiten zu können.

Le Flash: Euer aktuelles Stück Von der Unschuld des Atmens und die darin verhandelte Frage nach der Wechselwirkung zwischen Arbeit und Mensch scheint ein solches Thema ernsterer Art zu sein. Ohne zu viel vorweg zu nehmen: Worum geht es in dem Stück?

C. Nolde: Das Stück ist das zweite einer Trilogie über Arbeit, deren erster Teil Der Lohn der Fleißigen, den wir letztes Jahr gespielt haben, sich um die Frage drehte: Wie viel bin ich als Mensch in einem schlecht bezahlten Job eigentlich wert? Dabei ging es auch um Arbeitsbedingungen wie Niedriglöhne, Überwachung und darum, ob der Einzelne bei all diesen Entwicklungen noch dazu in der Lage ist, seine Würde zu wahren. In dem aktuellen Stück geht es nun um die Frage, was Arbeit überhaupt ist: Beginnt Arbeit vielleicht schon dort, wo jemand kreativ ist, Ideen produziert oder einfach Gutes tut, ohne dabei Geld zu verdienen? Leistet jemand, der von Neun bis Fünf im Büro sitzt, mehr Arbeit als derjenige, der nicht bezahlt wird, aber dennoch einen sinnvollen Beitrag zur Gesellschaft leistet? Und was ist mit jenen, die keinen Beitrag leisten können? In dem Stück werden diese Fragen anhand verschiedener Figuren verhandelt. Es gibt einen Schriftsteller als Kernfigur, der aber lange kein Buch mehr veröffentlicht hat. Trotzdem arbeitet er, verfolgt seine Projekte und möchte etwas beitragen, braucht aber noch Zeit und beansprucht diese auch für sich. Gleichzeitig bringt ihn das in einen starken Konflikt, weil er lange Zeit nichts verdiente und vom Amt unterstützt wurde. All das löst bei ihm starke psychosomatische Beschwerden aus - er entwickelt eine Angststörung. Das ist, denke ich, keine Individualgeschichte in unserer Leistungsgesellschaft. Der Zusammenhang zwischen Leistungsdruck und körperlicher Belastung ist nicht erst seit der Burnout-Forschung in aller Munde.

L.S. Weyers: Dann gibt es noch eine Figurengruppe von Studenten, die eine Künstlerkommune gründen und sich viel ausprobieren. Sie versuchen im Kleinen ein neues Gesellschaftsmodell zu erproben und schließlich auch sich selbst zu finden. Als Gegenposition gibt es zwei Personen vom Arbeitsamt, die die These vertreten, der Mensch sei schuldig einen Soll zu leisten.

C. Nolde: Auch gibt es Figuren, die ein Weile orientierungslos bleiben und nicht gleich Antworten parat haben - wie im echten Leben. So sollte eine Gesellschaft es aushalten, dass es Menschen gibt, die Zeit brauchen, für sich herauszufinden, was sie der Allgemeinheit zurückgeben können.

Le Flash: Ist der Titel Von der Unschuld des Atmens insofern eine Referenz auf dieses "Sein" statt nur für eine Gesellschaft zu "funktionieren"?

C. Nolde: Ja, die Gegenposition wäre, dass von dem Moment unserer Geburt an, da wir unseren ersten Atemzug tun, wir uns bereits eine Schuld aufladen. Wir konsumieren, sobald wir existieren, und sei es nur die Luft, die wir atmen. Diese sehr drastische Sicht kann man auf die Gesellschaft übertragen: In dem Moment, in dem du in die Gesellschaft geboren wirst, nutzt du etwa das Sozialsystem und musst dafür etwas leisten. Dabei ist heute längst eine Gesellschaftsform denkbar, in der die Mitglieder ohne Druck herausfinden können, wie sie ihren Beitrag leisten wollen und können.

Le Flash: Der Protagonist des Stücks leidet an einer gewaltigen Schreibblockade. Die Hoffnung auf Ruhe treibt ihn auf einen Campingplatz. Inwieweit sind solche Elemente des Stücks autobiographisch geprägt?

C. Nolde: Meine Erfahrungen geben mir immer Ideen für das Setting und das Fleisch für die Szenen. So habe ich zum Beispiel selber auf einem Campingplatz gelebt und gearbeitet. Das Thema Arbeit beschäftigt mich schon lange. Ich hatte viele Jobs, gut wie schlecht bezahlte, zudem kenne ich das freie Schaffen. Die Fragen, welche Beschäftigung man als Arbeit bezeichnet, was sie für unser Leben bedeutet und wie sie sich auf uns auswirkt, haben mich dabei stets begleitet - etwa: Wer wären wir heute, wenn wir eine andere Arbeit gewählt hätten? Wann habe ich angefangen, mich hauptsächlich über meine Arbeit zu definieren und nicht als Mensch?

Le Flash: Die Frage nach dem Sinn in der eigenen Arbeit, wachsender Leistungsdruck und Begriffe wie "Humankapital" treiben immer mehr Menschen um. Wie hat die intensive Arbeit an dem Stück auf die Schauspieler gewirkt?

L.S. Weyers: Arbeit ist ein Thema, das uns Studenten und sogenannte Generation Y alle beschäftigt, insofern können wir die Problematiken sehr gut nachvollziehen. Die acht Monate, die wir gemeinsam am dem Stück gearbeitet haben, haben uns auch außerhalb der Proben zu Reflexion und Gesprächen über den eigenen Standpunkt angeregt.

Le Flash: Uraufgeführt wird das Stück im Kuppelsaal der Buchhandlung Thalia, dem ehemaligen Metropol-Kino. Was ist das besondere an diesem Ort als Spielstätte?

C. Nolde & L.S. Weyers: Der Kuppelsaal ist der Gastspielraum des Jungen Theaters Bonn, mit dem wir eine Kooperation haben. Allein die Architektur ist faszinierend, vor allem die Glaskuppel ist bühnenbildnerisch sehr interessant.
Der Raum besitzt eine großartige Atmosphäre, die an eine Sternwarte erinnert. Das für uns Besondere an dem Kuppelsaal ist, dass er als Raum sehr intim ist. So kommen sich Publikum und Schauspieler sehr nahe, ähnlich der Atmosphäre eines Kammerstücks, was gerade bei diesem zugleich ernsten und komödiantischen, ehrlichen Stück sehr schön ist.
Spielzeiten:

Premiere: 12. August 2016, 19.30 Uhr; 2. Vorstellung: 13. August 2016, 19.30 Uhr ; 3. Vorstellung: 14. August 2016, 19.30 Uhr

Kartenreservierungen unter 0228 / 463672

www.jt-bonn.de oder über BONNTICKET

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