„Ich bin, weil du bist.“

Am 1. Februar fällt in NRW die Maskenpflicht im ÖPNV und da stellt sich doch die Frage: Was bleibt von der Corona-Zeit noch übrig? Lieferdienste wie Gorillas oder Flink übernehmen bequem den Einkauf, ein Alltag ohne digitale Benutzeroberflächen scheint utopisch, Studenten wurden in zwei Jahren zu Zoom-Experten, das Schlagwort „Social Distancing“ schwirrt noch in unseren Köpfen herum. Bücher wie der Bestseller „Die neue Einsamkeit“ (2021) oder „Das Zeitalter der Einsamkeit“ (2021) füllen Regale von Thalia und Co. und die „Strategie gegen Einsamkeit“ des Bundesfamilienministeriums läuft auf Hochtouren. „Einsamkeit kann uns alle treffen, überall“, so heißt es in der Kampagne. Gerade jetzt wird deutlich: Wir Menschen brauchen ein Gegenüber, das uns antwortet. Jemanden, der uns unsere Selbstwirksamkeit spüren lässt. Nach dem Soziologen Hartmut Rosa bedeutet dieser Kontakt, dass wir mit uns selbst und der uns umgebenden Welt in einer resonanten Beziehung „schwingen“. Die neueste Inszenierung „Alles in Strömen-Das Versprechen der Resonanz" , vom interdisziplinären Künstler*innenkollektiv Polar Publik, betreibt eine künstlerische Recherche über die Resonanz, welche auf seinen Ideen basiert. Unter der Regie von Eva-Maria Baumeister verschmelzen Musik, Performance, Theaterelemente und Wissenschaft. Inszeniert von Ute Eisenhut, Axel Lindner, Fiona Metscher, Oxana Omelchuk, Jimin Seo und Katharina Sim.
Bevor die Uraufführung begann, hallte ein dumpfer, vibrierender, tiefer Ton durch den Raum. Triggerwarnung: Zuschauer*innen, welche sich irritiert fühlen sollten oder einen Herzschrittmacher besitzen, können die Inszenierung fünf Minuten später betreten. Das Publikum begann, sich zu verteilen. Unzählige leuchtende Trommeln fluteten jeden Quadratmeter mit Licht. Mischpulte. An allen Plätzen lagen Kopfhörer. Wozu waren Sie da? Plötzlich herrschte Chaos. Der dumpfe Ton wich melancholischer Opernmusik, Piano kam hinzu, ein Glockenspiel ertönte, alles vermischte sich. Noch plötzlicher als das Chaos, ein „Stop-Ruf“. Inmitten der schlagartigen Stille fingen nun Metscher, Omelchuk, Seo und Sim an, mit Messgeräten zu suchen. Wonach suchten Sie? Nach der verlorenen Resonanz? Das würde zumindest die Messgeräte erklären. Was macht jedoch eine Resonanz aus? Im anschließenden Dialog von Fiona Metscher mit den Betrachtenden wurde dies deutlich. „Erstens: Das Gegenüber. Ich werde erreicht, berührt, bewegt. Zweitens: Die Selbstwirksamkeit. Ich antworte körperlich, mit Gänsehaut, emotional, gedanklich. Drittens: Transformation. Ich werde von etwas erreicht und folglich kommt die Veränderung. Viertens: Unerreichbarkeit. Resonanz ist nicht sofort präsent oder greifbar.“ Diese vier Komponenten der Resonanz von Hartmut Rosa kamen ständig zum Vorschein und trugen das ganze Stück. Dann sprach Metscher in der Inszenierung die erste, unangenehme Wahrheit aus: „Wir leben in Zeiten der Gewinnmaximierung und des Konkurrenzkampfes.“ Forderung: „Es muss doch die Möglichkeit geben, anders in die Welt gestellt zu sein.“ Diese Momente wechselten sich mit Phasen ab, in denen das Publikum die Kopfhörer aufhatte und Gesprächsfetzen lauschte. Es ging um Zeiten der Unverbundenheit und Isolation, prägende, kurzatmige, gar glückliche Begegnungen sowie kindliche Spielereien in Haustrümmern eines Nachkriegsberlins. „Alles in Strömen“ war keine Einbahnstraße. Das Publikum wurde stets eingebunden und animiert. Die Bühne war ein Gastraum, eine Lounge, ein Klangkörper, wie auch an der nächsten Aktion deutlich wurde. Schritt 1: Dem Klang des Raumes für zwei Minuten zuhören. Schritt 2: Überlegen, welches Geräusch man reproduzieren möchte. Schritt 3: Jede*r erzeugte dieses Geräusch. Hier machten die Betrachtenden aktiv mit, statt nur passiv zuzuschauen.
Es folgte die zweite, unangenehme Wahrheit von Metscher: „Wenn ich erfahre, dass das Fremde nur Niedergang und Verletzung bedeutet, dann baue ich eine Mauer um mich herum.“ Andere Teile der Inszenierung brachten dessen Vielschichtigkeit hervor, wie der wissenschaftliche Aspekt, welcher die Arbeiten von Polar Publik ausmacht. Der Einsatz von Messgeräten, die Berechnung der Raumresonanz mittels Formeln, Begriffe wie „maximale Amplitude“ oder „Schwingungen“. Hier griff das Kollektiv Resonanz sowohl im metaphorischen als im wissenschaftlichen Sinne auf. Resonanz als Synonym für akustische Phänomene, aber auch für soziale Prozesse innerhalb einer Gesellschaft. In einer Sequenz wurden Improvisationselemente benutzt, was im Theatergenre sehr beliebt ist. Die Darstellerinnen schossen mit Wörtern umher: Röhre, Theater, Singen, Kochen, Verdampfen. Die musikalische Komponente kam nicht zu kurz. Ute Eisenhut sang in einem weißen Anzug Lieder auf Französisch und Axel Lindners Gitarrenspiel untermalte ihren Auftritt. Die Performances der Darstellerinnen wurden ebenfalls von Soundeffekten begleitet, welche sich an die Bewegungen anpassten und aus den Mischpulten kamen. Es entstand ein permanentes Wechselspiel zwischen Hektik und Harmonie. Die letzte, unangenehme Wahrheit Metschers, dessen Antwort jede*r für sich entschlüsseln sollte: Wie behandeln wir die Dinge? Als stumme, starre Dinge oder als Antworten? Die Aussagen von Metscher regten zum Denken an und saßen doch wie ein Stein in der Magengrube. Nicht, weil sie harsch waren, sondern weil sie einem so vertraut vorkamen.
Alles in Strömen-Das Versprechender Resonanz ist keine gewöhnliche Aufführung. Geleitet von Hartmut Rosa’s Ideen über die Resonanz, lädt Polar Publik dazu ein, sich auf eine gemeinsame Suche zu begeben, sowohl akustisch als auch körperlich und integriert das Publikum auf ungewöhnliche Art und Weise mit ein. Zwischen Post-Social Distancing Erfahrungen und Einsamkeitskampagnen bringt diese Inszenierung den Betrachtenden nahe, wie wichtig ein soziales Miteinander für uns als Gesellschaft ist.
Polar Publik ist ein interdisziplinäres Künstler*innenkollektiv bestehend aus Eva-Maria Baumeister, Nina Rühmeier, Oxana Omelchuk, Lena Thelen, Fiona Metscher, Sonia Franken, Eva-Maria Müller, Ute Eisenhut und Axel Lindner. An der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft widmet sich das Kollektiv Verhältnissen und Situationen, in denen die Phänomene Macht und Ohnmacht explizit werden. Die nächsten Auftritte von „Alles in Strömen-Das Versprechen der Resonanz“ finden am 30.3. sowie 31.3. im Freien Werkstatt-Theater Köln statt.