‚Ungeborene Tränen‘ – zeitgenössische ukrainische Kunst in der Galerie Judith Andreae in Bad Godesberg

Ein erklärtes Ziel des geschichtsrevisionistischen Angriffskriegs der russischen Föderation unter Präsident Vladimir Putin ist die Auslöschung der ukrainischen Identität, auf allen Ebenen. Russische Propagandisten in Staatsfernsehen fordern offen die Tilgung der Ukraine als Staat von der Landkarte, mitsamt ihrer Kunstschaffenden. Ihnen wird die Existenzberechtigung abgebrochen, sie seien nur Teil einer unbedeutenden Unterethnie im großen russischen Imperium. Mehr nicht.

Leider war die Wahrnehmung ukrainischer Kultur in Westeuropa lange Zeit geprägt von diesen russischen Narrativen über alles „Ukrainische“. Ukrainische Kunstschaffende verschwanden oftmals in Kategorien wie „Ostblock“ oder „ehemalige UdSSR-Staaten“. Viel Aufmerksamkeit schenkte ihnen die westliche Kunstszene bis zum 24. Februar 2022 nicht. Ab diesem Tag rückte die traurige Aktualität fortan ein Land und seine vielfältige Kultur in den Mittelpunkt des Weltinteresses. Der Fokus richtete sich ebenfalls auf eine zeitgenössische Kunstszene, die sich als divers, tiefgründig und westlich orientiert präsentiert. Nicht nur in der Hauptstadt Kyiv sondern auch in anderen kulturellen Zentren des Landes wie Lviv oder Charkiv.

Die Bad Godesberger Galerie Judith Andreae zeigt vom 1. September bis zum 22. Oktober erstmals die Werke von sechs aus der Ukraine stammenden Kunstschaffenden: Julia Beliaeva (*1988), Volo Bevza (*1993), Sasha Kurmaz (*1986), Victoria Pidust (*1992), Elena Subach (*1980), und Marta Vovk (*1989).

Ihre Werke umreißen die vielfältige Beschaffenheit zeitgenössischer ukrainischer Kunst in Motivik und Methodik. Methodisch besonders auffällig ist im Ausstellungskontext die tragende Rolle des Digitalen im schöpferischen Akt der Kunstproduktion. Thematisch behandelt die Ausstellung selbstverständlich die Grausamkeit des gegenwärtigen Krieges, der seit 2014 in der Ukraine tobt. Doch geben die Werke ebenfalls einen Einblick in die bewegte Historie der Ukraine, in ein tief empfundenes Heimatgefühl seitens der Kunstschaffenden sowie einen vorsichtigen Ausblick in eine (unsichere) Zukunft.
Der aus dem Ukrainischen (Незридані сльози) frei übersetzte Titel der Ausstellung als „ungeborene Tränen“ gründet auf eine Aussage des ukrainischen Schriftstellers Pavlo Tychyna (1891-1967) von 1918 und umklammert die tragische Geschichte der Ukraine und ihrer Bevölkerung als oftmals übersehene eigenständige Nation, die gegen alle Widerstände von Krieg, Vertreibung und Heimatverlust sich ihrer eigenen nationalen Identität stets bewusst war und diese stolz kultiviert, pflegt und verteidigt... bis zum heutigen Tag.

Es folgt eine kleine bildliche Auswahl der ausgestellten Exponate:
Mehr Informationen:
Homepage Galerie Judith Andrae
Die Ausstellung läuft noch bis zum 22. Oktober 2022. Die Kunstwerke können käuflich erworben werden. Mehr dazu auf der Seite der Galerie. 10% aller Verkäufe fließen in ukrainische Aufbauprojekte. Eine schöne Sache! Die Ausstellung ist sehenswert. Der Eintritt ist frei.
Kathrin Engelmann
Kathrin Engelmann
Doktorandin bei Frau Prof. Anne-Marie Bonnet, Universität Bonn.