Über die Wirkmacht von Sprache

Es gibt eine ganze Riege an Künstler*innen, die mit Purismus und Leidenschaft die Sprache als künstlerisches Mittel ins Zentrum ihres Schaffens stellen. Angetrieben von Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie untersucht Joseph Kosuth in Werken wie Four Colors Four Words (Blue, Red, Yellow, Green) (1966) die Wechselbeziehung zwischen Sprache und dem Kontext ihrer Präsentation. Mit einem poetischen Flair für die Vielschichtigkeit von Sprache und Formulierungen fokussiert sich Birgit Jürgenssen in Werken wie Jeder hat seine eigene Ansicht (1975), gänzlich im Zeichen Ihres post-feministischen Kunstschaffens, auf die Rolle der Frau innerhalb unserer Gesellschaft. Barbara Krugers prägnante und provokative Slogans wie „I shop therefore I am“ oder „Buy me I’ll change your life” geben den Bildern aus Massenmedien und Zeitschriften eine stakkatohafte und reduktionistische Komponente. Doug Aitkens Plastik 100 YRS (2014) animiert die Betrachtenden allein durch dessen entkontextualisierte Kürze zum Nachdenken. Zweifelsohne gehört eine Künstlerin ebenfalls zu dieser Gruppierung. Ihr Einfluss auf Kunst und Gesellschaft ist seit den Siebzigern permanent. Wie so viele Künstler*innen, die in den Achtzigern prominent wurden, ist sie ein Produkt der Flimmerkisten Zeit und einer Welt der Werbungen und Werbeplakate. Jenny Holzer ist humoristisch, empathisch, konfrontativ und zutiefst demokratisch. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt aktuell die größte Überblicksausstellung der international renommierten US-amerikanischen Künstlerin. In den gezeigten Werken greift Holzer Sujets wie Krieg, Sinnlosigkeit und Populismus auf. Das dadurch entstehende Forum für aktuelle Debatten gesellschaftskritischer Art reicht von den temporären Ausstellungsgalerien bis hin zur Bel Etage.
Das Untergeschoss verweist auf die frühen Phasen von Holzers Œuvre. Mit ihren allseits bekannten Truisms (1977-79) und Inflammatory Essays (1979-82) transformiert die Künstlerin den gesamten Raum in ihre bisher größte Plakatinstallation. An dieser Stelle einige Bemerkungen. Erstens: Sprache fasziniert Holzer, weil sie auf eine Weise kommuniziert, wie Kunst es, nach Ihrer Auffassung, nicht könne. Zweitens: Der Anfang der Truisms ist tatsächlich auf New Yorker Hauswände geklebte, preiswert herzustellende und anonym dargebotene Plakate zurückzuführen, auf denen jeweils vierzig bis sechzig Sätze in Form von Listen abgedruckt waren. Drittens: Die Inflammatory Essays sind unter anderem inspiriert durch Lesungen von Emma Goldman, Hitler, Lenin, Mao und Trotsky. Viertens: Der Sprachstil von Holzer wurde mit jedem Werk subjektiver; die Evolution von den unpersönlichen, faktischen Statements der Truisms, über zu den Inflammatory Essays und den Survival Series (1983-1985), bei denen die Anredeform you benutzt wurde, wie „In a dream you saw a way to survive and you were full of joy (1991) kulminiert schließlich in der persönlichen Ansprache I in den Laments (1998). Nun aber wieder zurück zu der Ausstellung! Die Texte aus Truisms und Survival erscheinen ergänzend dazu auf drei LED-Laufbändern und kreieren eine gänzlich originelle, einnehmende Atmosphäre, wobei sich Holzer bei der Konzeption den Konventionen gängiger Nachrichten- und Werbemedien im öffentlichen Raum bedient. Die Werke konterkarieren den aggressiven alltäglichen Informationsfluss mit individuellen Wahrnehmungen und Verletzbarkeit; die Texte reflektieren Aphorismen, Maxime und Klischees, ohne jedoch parteiisch zu sein. Als Gegenstück zur Vergänglichkeit der Plakate und LED-Laufbänder sind ausgewählte Steinarbeiten aus unterschiedlichen Schaffensphasen der Künstlerin zu sehen. Ein Schlüsselwerk ist der Survival Sitzkreis aus siebzehn roten Granitbänken, den Holzer erstmals 1989 in der überaus eminenten Einzelausstellung im New Yorker Guggenheim Museum präsentierte. Als Symbole der Erinnerung thematisieren die Objekte die Auswirkungen des Krieges auf den Menschen.
Und das Stichwort Krieg ist das verbindende Element in der Bel Etage. Alle gezeigten Werke von Holzer behandeln dieses Sujet in den unterschiedlichsten Kontexten, von denen einige erwähnt werden sollen. In verschiedenen Werken zeigt Holzer Folien, in der die Invasion des Irak durch US-Streitkräfte unter dem Codenamen POLO STEP vorgestellt wird: Phase I + II Force Laydown, Phase II Running Start Decisive Offensive Operations, Force at End of Phase III, Phase IV Post-Hostilities (2007-2023). Large Left Hand sowie Large Right Hand (beide Werke 2007) zeigen beide jeweils einen Handabdruck von Abed Mohamed Najem, einem irakischen Staatsbürger, der von US-Streitkräften inhaftiert wurde. Laut dem Bericht vom Juni 2004 hieß es, dass Najem eines natürlichen Todes während seiner Haft im Gefängnis Abu Ghraib starb. Der künstlerische Umgang mit den Regierungsdokumenten, die von Organisationen wie dem National Security Archive öffentlich zugänglich gemacht wurden, bringt die Ambivalenz zwischen Veröffentlichung und Zensur zu Tage. In der jüngsten Arbeit Ukraine (2023) greift sie auch diesen geopolitischen Konflikt auf. Zu erwähnen wäre noch Bone Works. Während der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren, in denen sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Kriegstaktik benutzt wurde, begann Holzer menschliche Knochen in ihre Installationen zu integrieren. Auf einigen von ihnen sind Auszüge aus Lustmord (1993-95) eingraviert; ein Text aus der Perspektive von Täter*innen, Opfern und Beobachter*innen gewalttätiger und manchmal tödlich-sexueller Begegnungen. Die Installation in der Bel Etage hat mit Körperverletzungen und Ermordungen vom Zweiten Weltkrieg bis zur gegenwärtigen Invasion in der Ukraine zu tun; gedacht als Mahnung, Warnung und Protest!
Falls die Leser*innen an dieser Stelle gedacht haben, dass sich die Ausstellung nur auf diese zwei Ebenen erstreckt: Dem ist nicht so! Für den Außenraum hat die Künstlerin, in Kooperation mit Ströer, Animationen mit Texten aus Truisms, Survival und Texten anderer Autor*innen konzipiert (ganz nach dem Motto „back to the roots!“). Es bleiben zum Schluss zwei wichtige Fragen offen: Wann gibt es die Animationen zu sehen? Zur Ausstellungseröffnung, in der Düsseldorfer Nacht der Museen, zu Beginn der Sommerferien und in der letzten Ausstellungswoche. Und wo genau? Im Straßenverkehr, den Infoscreens in den U-Bahnhöfen am Düsseldorfer Hauptbahnhof sowie der Heinrich-Heine-Allee und in der Ankunftshalle am Düsseldorfer Flughafen. Aber warten Sie, es gibt noch mehr, noch viel mehr...
Neben Kruger, Aitken, Kosuth, Jürgenssen und Holzer gibt es nämlich noch viele weitere Künstler*innen, die Sprache als künstlerisches Mittel verwenden. Bei wem jedoch anfangen? Vielleicht bei der portugiesischen Künstlerin Wasted Rita, die sich als „natural born agent provocateur“ bezeichnet? Oder aber bei dem in Sofia lebenden Künstler Nedko Solakow, welcher mit Humor und Absurdität das Leben skizziert? Wie wäre es mit John Baldessari? Der Pionier der Konzeptkunst rückt nicht wie Holzer der Werbeindustrie, sondern dem Kunstmarkt auf die Pelle. Die Formensprache all dieser Akteur*innen könnte nicht unterschiedlicher sein und doch haben alle einen gemeinsamen Nenner. Na, konnten Sie es nach dem Lesen erraten?
Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen präsentiert seit mehr als 10 Jahren die erste große Einzelausstellung von Jenny Holzer. Die Kunstschaffende hat die Ausstellung als ein Gesamtkunstwerk mit zentralen Arbeiten aus verschiedenen Schaffensphasen und neuen, eigens für das K21 und die Stadt Düsseldorf entwickelten Werke konzipiert. Die Werke von Holzer fordern die Betrachtenden dazu auf, sich mit dichotomen Perspektiven auseinanderzusetzen und so empathisch und aufgeschlossen eigene Positionen in komplexen Diskussionen einzunehmen. Das macht die Ausstellung, die vom 11.März bis 6. August 2023 gezeigt wird, zu einem öffentlichen Forum für aktuelle Diskurse über die Herausforderungen der Gegenwart. Titelbild: © 2023 Jenny Holzer, member Artists Rights Society (ARS), NY Photo: Sveva Costa Sanseverino