Lützerath – ein Schauplatz des Kampfes um Klima und Demokratie

Eine Reportage über die GroßDemo am 14.01.2023 in Lützerath und Gespräch mit Robin Alef, Sprecher und Artist Booker der KooperationsAG von „Fridays for future“ Deutschland.

Die Menge der Menschen, die sich an Bahnhöfen, in Bussen und Zügen dicht nebeneinander drängen, erinnert an 9€ Ticket Zeiten. In mehreren Anläufen versuchen Kinder, StudentInnen sowie kleine Familien mit Kinderwagen in die vollgestopften Züge zu gelangen, danach in die wesentlich höher frequentiert an- und abfahrenden Shuttlebusse, die die DemonstrantInnen an den Rand des nächstgelegenen Ortes Keyenberg bringen, von wo aus der Protestzug loszieht. So die geplante Route: Durch das mittlerweile zu dreivierteln verlassene Dörfchen Keyenberg entlang Richtung Bühne, wo heute neben vielen Musikern, Poetry Slammern und SprecherInnen auch das Gesicht der Klimabewegung weltweit, Greta Thunberg, auftreten wird.  Die AktivistInnen sind gut vorbereitet. Kaum jemanden sieht man ohne Regenjacken, Stiefel und Rucksäcke, handbemalte Pappschilder hängen ihnen über Rücken oder Brust.   Die Stimmung ist gespannt, lockert sich sobald wir an der Sammelstelle ankommen. Plötzlich verbinden sich die Menschen, folgen dem gleichen Ziel. Wir lassen uns mitziehen, an jeder Abzweigung stehen OrganisatorInnen, Megaphone in den Händen, alles überblickend. Den Weg scheint die Masse zu kennen.   Aus allen Richtungen spielt Musik, wir werden begleitet von einem Mercedes Sprinter, mit Boxen, Plakaten und Fahnen behängt. Ein Mann hämmert auf eine Trommel, die er zwischen die Beine geklemmt hat, mit einer Plastiktüte vor dem Regen geschützt. Zwei Blechbläser werden später am Rande der Abrisskante stehen und spielen. Immer wieder dröhnen Rufe an uns heran, die die Menge um uns herum erwidert.   Das Ziel ist klar: „Lützi bleibt”.  Neben uns beginnen die DemonstrantInnen auf den Wall zu klettern, der Schlamm lässt dieses Unterfangen zu einer Schlitterpartie werden. Uns werden die Hände gereicht, wir werden hochgezogen, ziehen wiederum die Menschen hinter uns mit. Der Anblick ist weniger erschreckend als bestärkend. „Darum sind wir hier”, scheinen die Gesichter der Menschen zu zeigen. Entschlossenheit spiegelt sich in ihnen wider.  Das Abbaugebiet Garzweiler II erstreckt sich über den gesamten Horizont, unmöglich seine Größe zu schätzen. Ein Kind wird auf unseren Aussichtspunkt gehievt, sie weiß, was dort mit dem Land geschehen ist, braucht keine Erklärung, stiefelt über den Matsch, zeigt auf den riesigen Schaufelbagger, den sie später noch ganz aus der Nähe sehen wird.   Der Weg entlang des Tagebaus ähnelt einer Dünenlandschaft, der Regen nimmt dem Gelände die Struktur. Plötzlich kommen sieben Transportwagen der Polizei den schmalen Sandweg zu uns herab gefahren, der unseren kreuzt. Je drei Polizisten in voller Ausrüstung traben an jeder Seite.  „Blockade!“ wird geschrien, AktvistInnen rennen an uns vorbei, um sich Ihnen in den Weg zu setzen. Die Polizisten kommen herbeigerannt, versuchen die DemonstrantInnen hochzuziehen, aus dem Weg zu tragen, doch auf jeden Vertriebenen kommen drei neue SitzstreikerInnen. Am Feldrand kommt es zu einer Auseinandersetzung: Ein Polizist verliert seine Geduld, wütend drängt er eine Frau immer weiter ins Feld hinein, immer wieder haut er seine behandschuhten Fäuste in die Menge an Menschen, die sich schützend um sie herum versammelt. Seine Kollegen halten ihn zurück.   Die Szene heizt die Stimmung auf, immer weiter strömen die DemonstrantInnen herbei “Es gibt ein Recht auf Dienstverweigerung” brüllen Sie Ihnen im Chor entgegen.   Schließlich beginnt sich die Polizeikarawane rückwärts zu bewegen, schleichend schieben sich die Wagen den Weg zurück, widerwillig folgt die Mannschaft, treten den Rückzug an, begleitet von triumphierendem Pfeifen der DemonstrantInnen.   Die Euphorie dieses Sieges behält der Zug, sowie das Bild des Gegners, das sich schleichend manifestiert, je näher wir Lützerath kommen: der Polizei.  
Plötzlich spaltet sich der Zug, während sich nur wenige DemonstrantInnen nach rechts wenden, schlägt die Mehrzahl nach links ein. In der Mitte der Gabelung steht ein Mann auf ein Fahrrad gestützt, ein Schild hochhaltend, welches ich nicht lesen kann. Er weist die Menschen an nach Links zu laufen. „Wo ist die Bühne”, frage ich, “Rechts”, antwortet er und weist weiter nach Links. „Was ist Links?”, „Lützerath”, sagt er und wir gehen nach Links. „Auf nach Lützi”, schreit er und die Menschen herum erwidern es.   Hunderte DemonstrantInnen stehen nun nahe der Abrisskante, schauen hinab: knapp 50 Männer in neongelben Warnwesten stehen schützend am Fuße des Schaufelradbaggers, es trennen uns nur Höhenmeter.  Doch immer mehr Menschen wenden sich vom Tagebau ab, machen sich auf den Weg übers Feld, kehren dem musikalischen, fröhlichen Teil der Demo endgültig den Rücken zu, begeben sich in den Kampf um Lützerath. Ein schwarzer Block stürmt an uns vorbei, die „Antifa“-Flagge am Kopf des Zuges.   Sobald sie das Feld erreichen, trennen sie sich, treffen auf erste Polizistengruppen, bewerfen Sie mit Schlamm, wenige greifen nach härteren Brocken.   Bengalos fliegen in die eingekreisten Mannschaften. Violette, gelbe und grüne Rauchfahnen umhüllen die Polizisten, während ihre Visiere den Matsch auffangen, der ihnen gegen die Helme fliegt. Der Knall eines explodierten Böllers lässt die Polizisten weiter zusammenrücken. Immer näher kommen ihnen die DemonstrantInnen, unmöglich zu trennen, wo Antifa aufhört und StudentInnen, Mütter und Väter anfangen. “Polizei. NRW. Schlägertrupp von RWE” schallt von allen Seiten heran, die Sprechchöre verbinden die DemonstrantInnen. Schließlich fangen auch die Polizisten an, sich zur Wehr zu setzen, „Menschenkette” wird gebrüllt und eine Polizistenfront verfällt in einen Trab, rennen brüllend auf die DemonstrantInnen zu. Wie erschrockene Fische schwärmt die Masse in alle Richtungen aus, rufen sich Warnungen zu „Cops von links”, „Weiter vor”.   Schließlich hören wir Ansagen über Lautsprecher. “Entfernen Sie sich vom abgesperrten Bereich”. Erste DemonstrantInnen haben die Zäune erreicht, die von behelmten Hundertschaften verteidigt werden, die in ihrer Montur kaum wie erkennbare Individuen wirken. Ein Mann neben uns zeigt auf zwei Wasserwerfer, die an beiden Flanken bereit stehen. Wenig später kommt die erste Warnung, Wasserwerfer und Polizeigewalt würden eingesetzt, würde man sich nicht zurückziehen. Wir halten Abstand, ziehen uns zurück an den Rand des Geschehenes. Berittene PolizistInnen stehen in einer Reihe vor dem Wall, auf dem im Abstand von 10 Metern ebenfalls behelmte Polizisten aufgestellt sind.   „Zieht den Cops die Haut ab! Haut ab!” brüllt es neben uns und wird von allen Seiten erwidert. Zwei der Initiatoren ziehen ihre Hauben ab, sie sind kaum älter als 16.  Wir ziehen uns zurück, stapfen den Weg zurück durch den Schlamm, Richtung Bühne. Nur 300 Meter weiter tanzen die Menschen zu Sorahs Musik, die Stimmung ist ausgelassen, kaum zu glauben, dass nur ein Feld uns von dem Schauspiel trennt, welches sich vor den Absperrungen des Dorfes abspielt.  Warme Suppe wird ausgeteilt, SprecherInnen wenden sich an die AktivistInnen, beteuern ihre Wut um das Geschehene, bekommen jubelnden Zuspruch.  
Hinter der Bühne arbeitet Robin. Robin Alef ist neben seinem Job im Team der Abgeordneten Emilia Fester, die 2021 aus der grünen Jugend in den Bundestag gewählt wurde, für die KooperationsAG von Fridays For Future tätig. Unter anderem ist er für das Booking der auftretenden Acts auf Bundesebene zuständig sowie das Stagemanagement und die Programmplanung, heute übernimmt er neben der Shuttleorga noch viele weitere Aufgaben. So viel Verantwortung hatte er, so schreibt er auf Instagram, vermutlich noch nie. Zuvor hatte er bei der Friedensdemo in Hamburg und dem Global Strike in Berlin mitgewirkt, bei denen 120.000, beziehungsweise 35.000 DemonstrantInnen anwesend waren. Da er selbst mal in der Musikbranche tätig war, besitze er die entsprechenden Netzwerke, die ihm beim Booking der Music Acts hilfreich seien. Zwei Tage später, abseits des Trubels, habe ich die Möglichkeit mit ihm zu sprechen. Die Bilder gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich spreche mit ihm über die Kämpfe vor Lützerath, thematisiere die Gewalt, die von Polizei und DemonstrantInnen ausging, frage ihn, ob man sich von den gewaltsameren AktivistInnen abgrenze, die teilweise aus „Antifa“-Mitgliedern bestanden.   Die Demo sei von unterschiedlichen Bewegungen organisiert worden, die nicht homogenisiert seien, erklärt mir Robin. „Fridays For Future“ stehe selber für friedliche Demonstration, wie es in einer Demokratie vorgesehen sei. Jedoch, betont er, solle man die Geschehnisse um Lützerath nicht von hinten erzählen , sondern am Anfang beginnen, worum ginge es, wofür werde gekämpft. Die Frage sei grundsätzlich, wie die Gesellschaft auf die Faktenlage reagiere. Es sei nachvollziehbar, dass Menschen verdammte Angst hätten und daraufhin eben eskalieren. Zukunftsängste träten auf, die auf einem Konsens von sehr vielen WissenschaftlerInnen beruhen. „Fridays For Future“ stehe als Organisation immer gegen gewaltsame Demonstrationen, jedoch würde auch über eine Narrativverschiebung diskutiert, intern werde ermittelt, ob deren übliche Demonstrationsform der Massenmobilisierung noch ihren Zweck erfülle. Robin gesteht, er persönlich sei dankbar, dass andere Leute andere Demonstrationsformen wählen. Die Klimabewegung sei ja eine Front und kein Kollektiv. Die aggressive Lage, so versteht er, sei dadurch entstanden, dass man diesen Kipppunkt, an dem Deutschland, mit seiner historischen Verantwortung als fünftgrößter Emittent von CO2, noch vor beispielsweise Indien, stehe, verteidigen müsse. Menschenleben dürften nicht gegeneinander aufgewogen werden, aber mit diesem Hintergrund sei vielleicht die teilweise aufkommende Aggressivität nachzuvollziehen. Je stärker jetzt das Engagement sei, desto mehr Menschenleben würden in der Zukunft gerettet werden. Er deutet auf die aktuelle Lage, “es bleibt uns nichts anderes übrig, als aggressiver zu reagieren!” Er betont, die gewaltsame Form des Aktivismus lehne er nach wie vor ab. Ich frage Robin, für was Lützerath für ihn stehe, welche Fronten würden hier aufeinanderprallen?  Robin spricht von drei unterschiedlichen Akteuren: die RWE AG, die grundsätzlich den Gewinn für seinen Konzern vertrete. Die Regierung, die eigentlich die Meinung der Wähler vertreten solle, hier nun aber (bewusst oder unbewusst ) Konzerninteresse repräsentiere. Und den WissenschaftlerInnen, die für Fakten stehen. Die WissenschaftlerInnen hätten diese Fakten in einem offenen Brief bekräftigt. Die Erkenntnis, dass die Braunkohle unter Lützerath „für eine technische Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig, sondern politisch bestimmt“ sei, wurde von hunderten WissenschaftlerInnen in einem offenen Brief an Herrn Hendrik Wüst, Frau Mona Neubaur und Herrn Herbert Reul unterschrieben. Die Polizei, die eigentlich ausführende Macht der Regierung sein sollte, würde hier dementsprechend vom RWE instrumentalisiert, was aus der verschobenen Interessensvertretung resultiere. Robin sagt, er hätte auch Mitleid gehabt, in Bezug auf den Polizeihass, der sich am Samstag bot, jedoch hätte ja auch die Polizei ein Recht auf Dienstverweigerung.   Lützerath sei ein Abbild der politischen und gesellschaftlichen Krise, in der wir stecken und - das ist ausschlaggebend - wir bekämen diese Krise nicht zu fassen. „Wir sind zu spät dran, viel zu spät!”. Die Diskussion um Lützerath sei eine exakte Abbildung, von dem wo wir gesellschaftlich stehen, in Bezug auf die Wissensverteilung und dem Know-How. Ingesamt brächte die gesamte Wahrnehmung und Realisierung der Klimakrise die Leute an den Rand ihrer Vorstellungsmöglichkeiten.   Zum Abschluss frage ich ihn, was genau nun der Anspruch seiner Arbeit sei und welche Aufgaben er im Rahmen dieser hat. Im Vordergrund stehe political campaigning, erzählt er. Zuletzt hätten Sie zum Beispiel den Künstlerbrief veröffentlicht, in denen sich KünstlerInnen „solidarisch an die Seite der Klimaprotestierenden in Lützerath” stellen. Musiker oder Menschen des öffentlichen Lebens im Allgemeinen seien eine Identifikationsebene für die Menschen, es gehe dabei vor allem auch um Informationsvergabe. „Fridays For Future“ setze sich vor allem zur Aufgabe rational zu informieren, der Wissenschaft Gehör zu verschaffen, weshalb es auch im Vorfeld der Demo einen großen Call zur Lage in Lützerath gegeben habe, der war Teil der Öffentlichkeitsarbeit rund um die Demo, mit dem Zweck in den Medien aufzutauchen und die Spannung aufrechtzuerhalten. Einen besonderen Dank richtet Robin, mit Rückbezug auf Samstag, an die KünstlerInnen, die Teil der Demonstration wurden. Sorah und Mal Élevé, Osy und Boktam, Klan, Conny, Charly Klauser, Shelly und Haller seien trotz der widrigen Situation während der gesamten Veranstaltung super supportive gewesen, haben ihre Instrumente im Regen gespielt, in der Kälte ausgeharrt. Dadurch, dass sie auch mit ihrem KünstlerInnen Namen in der Öffentlichkeit nachhaltig für Lützerath stehen, haben sie eine Menge Verantwortung übernommen, so Robin.„Wir können die Welt nicht ändern, das muss am Ende das demokratische System tun”, erklärt Robin das Ziel des Engagements. „Führen wir also gleichzeitig einen Informationskrieg?“, möchte Ich herausfinden.„Meinetwegen einen Informationskrieg, vor allem aber einen Behäbigkeitskrieg”, antwortet mir Robin. “Wir müssen anfangen, Verantwortung zu übernehmen, aus unserer Comfort Zone auszubrechen.” Jetzt müsse jeder zusammenstehen, jeder müsse sich überlegen, wie er etwas verändern könne und das könne unfassbar schwierig sein, da man sich ja nicht nur mit der Verantwortung für sich selbst, sondern mit der Verantwortung für eine globalisierte Gesellschaft individuell auseinandersetzen müsse. Das Gespräch mit Robin macht vor allem die Dringlichkeit zum Handeln deutlich. Laut dem neuem Klimabericht der World Meteorological Organization (WMO) könnten die Durchschnittstemperaturen schon in den nächsten fünf Jahren den Wert von 1,5-Grad überschreiten. Dieser Indikator stehe für den Punkt, an dem die Klimaauswirkungen für den Menschen und den Planeten zunehmend schädlich werden. Greenpeace betont: Das 1,5-Grad-Ziel könne nur erreicht werden, bleibe die Kohle unter Lützerath im Boden. Dieses Ziel ist nun vermutlich nicht mehr zu schaffen, am 16.01 werden die beiden letzen Demonstranten aus Lützerath vertrieben, die Räumung ist somit abgeschlossen. Der Abriss könne innerhalb von acht bis zehn Tage abgeschlossen sein, so ein Sprecher der „Rheinischen Post“. Der Kampf jedoch ist noch nicht vorbei. „Solange die Kohle noch nicht abgebaggert ist, solange sie nicht verbrannt ist, werden wir weiter kämpfen.“, schreibt mir Robin im Anschluss des Gesprächs und spiegelt damit den Kampfgeist der Menschen wieder, die nicht nur am Samstag, sondern jeden Tag für ihre Rechte und ihre Zukunft einstehen.