Losgelöst. Hieronymus Bosch.

Was nicht originell ist, daran ist nichts gelegen; und was originell ist, trägt immer das Gebrechen des Individuums an sich. – Johann Wolfgang von Goethe

Fragt man nach den Primi inter Pares der altniederländischen Tafelmalerei so werden gemeinhin die Gebrüder van Eyck, Robert Campin oder Rogier van der Weyden genannt. Der Name Hieronymus Bosch taucht in diesem illustren Kreis eher selten auf. Zu Unrecht, wie eine große Retrospektive seiner Heimatstadt nun zu zeigen versucht. Im Rahmen des Kulturprojektes „Jheronimus Bosch 500“, mit welchem in ’s-Hertogenbosch an das 500. Todesjahr des Malers erinnert wird, widmet das örtliche Het Noordbrabant Museum dem bekanntesten Sohn der Stadt mit „Jheronimus Bosch. Visionen eines Genies“ eine wohl einmalige Sonderausstellung.

Der bisherige Umgang sowohl der Öffentlichkeit als auch der Kunstgeschichte mit dem Œuvre von Bosch lässt sich extrem pointiert wohl am besten als ein bipolares Gemisch aus bewundernder Ekstase und lähmender Irritation beschreiben. Seine rätselhaften Bildsujets laden ein in einen Kosmos einzutauchen, der einen Spagat aus detailbesessener, naturalistischer Realität sowie grenzenloser humoristischer Fiktion wagt. ‚Einfache’ Leute agieren wie selbstverständlich neben Adligen, Ungeheuern und Fabelwesen in Interieurs oder Landschaften. Bosch malt bereits um 1500 schlicht das Unmögliche. In seinen kreativen Fantasiewelten verbildlicht er spielerisch die Ängste seiner Zeitgenossen vor Versuchung, Hoffnungslosigkeit und Sünde; Themen, die uns auch heute noch emotional berühren. Bosch ist somit selbst 500 Jahre nach seinem Tod für viele noch ein geistiger Unruhestifter geblieben.

Der Versuch das Phänomen Bosch zu entmystifizieren scheiterte bislang an mehreren ungünstigen Faktoren. Zum einen ist die Quellenlage zu seiner Person sehr überschaubar. Man weiß sehr wenig über ihn und über das soziale Milieu, in dem er sich aufhielt. Bosch selbst hinterließ keine persönlichen Aufzeichnungen. Lediglich Eckdaten seiner Biographie sind überliefert. So wurde er als Jheronimus van Aken um 1450 in eine ’s-Hertogenboscher Künstlerfamilie geboren, wohnhaft war er zeitlebens ebendort in der Nähe des Zentralmarktes, er hatte drei Brüder und zwei Schwestern, seine Lehre zum Maler absolvierte er in der Werkstatt des Vaters. Er war verheiratet aber kinderlos sowie Mitglied der Liebfrauenbruderschaft. Über den genauen Zeitpunkt, ab dem er sich mit Verweis auf seine Herkunft den Zunamen Bosch gab, kann nur spekuliert werden. Er verstarb wohlhabend im August 1516.

Das unkonventionelle Werk, welches er hinterließ öffnet allein durch seinen geringen Umfang Tür und Tor für allerlei Spekulationen über vermeintliche humanistische Weltanschauungen und persönliche Motive, die eine solch unorthodoxe Art zu malen bedingt haben könnten. Ferner ist das Gros dieser wenigen Werke Boschs mittlerweile Teil von renommierten Sammlungen erworben und über die ganze Welt verstreut. Dort genießen sie hohe ideelle Wertschätzung und die Bereitschaft sie auszuleihen war bislang auf Grund ihres oftmals kritischen materiellen Zustandes bei den Verantwortlichen – sei es in Paris, Madrid, Frankfurt oder New York – nicht sonderlich ausgeprägt. Jener Skepsis und Scheu entschloss man sich in ’s-Hertogenbosch bereits 2007 mit der Gründung des Bosch Research and Conversation Project (BRCP) entgegenzuwirken.

Im Gegenzug für eine mögliche Teilnahme ihrer Bosch Exponate an der geplanten Jubiläums-Ausstellung 2016 stellte man den Museen und Sammlern Restaurierungsbemühungen mit Hilfe innovativster Computertechnik in Aussicht. Durch diese bedachte Strategie nach dem Prinzip ‚eine Hand wäscht die andere’ haben letztlich immerhin 17 der lediglich 24 Gemälde, die Bosch sicher zugeschrieben werden können, den Weg in die beschauliche Provinz Nordbrabant zurückgefunden. Darunter Highlights wie Die Anbetung der Könige, um 1470-80, aus dem Metropolitan Museum of Art in New York oder das Triptychon Der Heuwagen, um 1515, das sich im Besitz des Museo del Prado in Madrid befindet. Ergänzt werden sie durch 19 Zeichnungen aus der Hand Boschs sowie durch etliche Vergleichsobjekte aus seinem direkten Werkstattumfeld. Insgesamt befinden sich etwa 100 Exponate on Display.

Das Ausstellungskonzept verzichtet bewusst darauf starr chronologisch durch das Œuvre von Bosch zu führen. Stattdessen wurden sechs Themenblöcke gewählt – Lebenspilgerschaft, Bosch in ’s-Hertogenbosch, Das Leben Christi, Bosch als Zeichner, Heilige und Das Ende der Zeiten - die dem Gewicht wiederkehrender Elemente für die Auslegung seines Werk, seiner Heimat ’s-Hertogenbosch sowie seiner handwerklichen Vielseitigkeit als Maler gerecht werden. In der Rezeption entgeht die Ausstellung somit der Gefahr, als eine rein antiquierte ‚Künstlerbiographie’ in Vergessenheit zu geraten. Den Initiatoren der Ausstellung scheint ohnehin ein feiner Querschnitt durch das schwer fassbare Gesamtwerk von Bosch ein besonderes Anliegen gewesen zu sein. Allein die bloße Bündelung vieler seiner Werke an einem Ort spielt dabei selbstverständlich eine entscheidende Rolle. Die reine Masse an ‚Bosch’ verursacht schon beim bloßen Schlendern durch die Ausstellung das unterschwellige Gefühl eines unmittelbaren Dialogs zwischen den Kunstwerken, in den diese den Besucher augenblicklich einzubinden versuchen. Das gefühlte Highlight befindet sich bereits am Anfang der Ausstellung. Über die niederländische Übersetzung des Satiregedichts Das Narrenschiff, 1500, von Sebastian Brandt und die bildliche Umsetzung der Lyrikvorlage durch Bosch auf Eichenholztafeln kulminiert das zeitlose Themenfeld der Lebenspilgerschaft eines jeden Menschen im berühmten Heuwagen-Triptychon.
Für Bosch scheinen die irdischen Moralvorstellungen seiner Zeit mit ihren strengen Normen mehr Fesseln zu sein, die den Menschen in seinen Entscheidungen behindern und einbremsen, als dass sie ihm dazu verhelfen würden, sein gesamtes geistiges Potenzial vollständig auszuschöpfen. Die Bildsprache Boschs ist getränkt von aufklärerischem Humor, er offeriert dem Betrachter mehr oder weniger die Wahl zwischen ‚Gut’ und ‚Böse’, ohne offenkundig eine eigene Bewertung vornehmen zu wollen. Doch appelliert Bosch an den Drang des Menschen nach Selbstbestimmung mit einem scheinbar tiefverwurzelten Glauben daran, dass dieser in seinem Kern gut sei und die moralisch richtigen Entscheidungen schon treffen wird. Seine Bildwerke dienen diesem flammenden Appell an die menschliche Selbstmündigkeit wie ein Spiegel, der die zu erwartenden Konsequenzen nicht verbirgt, sondern in der Tradition von Dantes Inferno visuell überspitzt und schonungslos offenlegt.

Diese immense, nahezu rauschhafte Multidimensionalität in der Bildsprache des Raconteurs (franz. für eine Person, die Anekdoten in einer geschickten und amüsierenden Art und Weise erzählen kann) Bosch macht diesen erst zu dieser einzigartigen Erscheinung in der Phalanx der berühmtesten niederländlichen Meister. Eine ‚on-point’ Deutung des Œuvres von Hieronymus Bosch ist schlichtweg nicht möglich. Operiert dieser mit seinen Sujets doch in absolut subjektiven Wahrnehmungssphären, die sich zuweilen jeglicher rationalen Logik entziehen. Um mit den Worten Goethes zu enden „...und was originell ist, trägt immer das Gebrechen des Individuums an sich.“
Kathrin Engelmann
Kathrin Engelmann
Doktorandin bei Frau Prof. Anne-Marie Bonnet, Universität Bonn.