Gleiches Leid, neue Gesichter – Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo.

Es geht also doch! Die Sonderausstellung „Susanna. Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo“ zeigt, dass die (selten im Museumsbetrieb vorkommende – warum eigentlich? - ) Ambition alte biblische (!) Erzählungen in einen brandaktuellen musealen Kontext zu setzen in einem Ergebnis enden kann, welches überraschen, aufklären, weiterbilden und vermeintliche Gegensätze miteinander verbinden kann.

Aber zuerst einmal zur Kerngeschichte: Susanna ist eine Figur des Alten Testaments. Dort wird sie im Buch Daniel als junge hübsche Frau beschreiben. Während einer Badesituation wird sie zum Opfer sexueller Übergrifflichkeit seitens zweier „älterer“ Männer. Das Machtgefälle zu ihren Peinigern ist immens. In der Folge erfährt sie, statt Unterstützung, lediglich Verleugnung durch die Täter und erst spät „Rettung“ vor Gericht durch den Propheten Daniel. Die Geschichte der Susanna im Bade faszinierte Künstler*innen über Gattungsgrenzen hinaus vom Mittelalter über die frühe Neuzeit, das Barockzeitalter bis hinein in die Moderne und Gegenwartskunst aus mitunter völlig unterschiedlicher Motivation. Dementsprechend ist die Ausstellung im Untergeschoss des Wallraff-Richartz-Museum & Fondation Corboud vom Kuratierenden-Team Anja Sevcik und Roland Krischel in 8 Themenblöcke unterteilt. Diese werden wir im folgenden Text „gemeinsam“ anhand von subjektiv ausgewählten Highlights durchwandern.

Erfreulich ist, dass zu Beginn der Ausstellung auf die Problematik der Trauma-Gefahr, die von der Betrachtung von Kunstwerken, die sich mit der Darstellung von sexueller Gewalt beschäftigen, ausgehen kann vorsorglich hingewiesen wird und zwar nicht nur durch einen QR-Code in irgendeiner Ecke, sondern durch eine exponierte Wandbeschriftung, die von den Besuchenden kaum zu übersehen ist.
Die Bewegungsrichtung aus dem Eingangsbereich ist gegen den Uhrzeigersinn. Der Rundgang beginnt mit „Ein altes Verbrechen“ bei der antiken Umsetzung der Susanna-Sage in Form dreier altgriechischer Papyrus-Fragmente aus der Zeit um 200 n. Christi. Diese stellen die ältesten noch erhaltenen Schriftstücke über Susannas (Leidens-) Geschichte dar. Es ist zu erfahren, dass es zwei Versionen mit einer unterschiedlichen erzählerischen Fokussierung in der antiken Erzählung gibt, wobei sich die sexualisierende und das Bild der selbstbewussten Frau verneinende Version in den künftigen Bibelversionen durchgesetzt hat.

In den folgenden Epochen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit verschob sich der Darstellungsfokus auf andere Teilelemente der Susanne-Sage. Neben die visuelle Umsetzung des gesprochenen biblischen Wortes erhob sich die reine Körperlichkeit der Protagonisten zu einem beliebten Bildmotiv. So findet sich die klassische Gerichtsszene zwischen Susanna und den Ältesten bei Nicolaas Roosendael (1673), wohingegen Künstler wie Pietro della Vecchia (um 1650) oder Francesco Trevisani (um 1680) in ausdruckstarken Darstellungen die körperliche Komponente von Übergrifflichkeit in den Mittelpunkt ihrer Werke stellen.
Diese Entwicklung in Richtung Körperlichkeit bzw. weiblicher Nacktheit setzt sich in der Folge fort, etwa bei Rembrandts Susanna und die beiden Alten / 1630-1640. Wobei sich die Kommunikation zwischen Kunstwerk und den Betrachtenden stets zu intensivieren scheint. Die Figur der Susanna eröffnet den Dialog mit der Außenwelt, der Öffentlichkeit. Die Distanz des Publikums zu ihrer Geschichte löst die Figur der Susanna somit immer weiter auf. Es stellt sich die Frage: Wie sollen wir Betrachtenden uns ihr gegenüber verhalten? Wie reagieren wir? Was können wir tun?

Eine deutliche Antwort auf diese Frage fand Schauspielerin Tippi Hedren (*1930), die dem gefeierten Regisseur Alfred Hitchcock (1899-1980, u.a. Die Vögel, 1963) ein ähnliches Verhalten wie das der Täter in der Susanna-Sage im persönlichen Umgang vorwarf. Hedren ging an die Öffentlichkeit, zwar erst nachdem Hitchcock verstorben war, aber ein Anfang war damit gemacht. Der Geist war aus der Flasche: Opfer haben Möglichkeiten sich zur Wehr zu setzen.
Das Narrativ der starken Frau schließt den Ausstellungsrundgang ab. „Unter Gegenwehr“ zeigt die Barockmalerin Artemisia Gentileschi, dass bereits 1622 ein positiv besetztes (feministisches) Narrativ der stets ideologisch umkämpften Figur der Susanna im Bade möglich gewesen ist. Aller Anfang ist schwer, doch glücklicherweise ist Fortschritt nicht aufzuhalten.

Bei aus heutiger Sicht vollkommen berechtigter Kritik an eindeutig anti-feministischen Bildmotiven, die in Susanna-Darstellungen keine Seltenheit darstellen, müssen in der Bewertung stets die Darstellungsnormen der Entstehungszeit berücksichtigt werden, auch wenn dies schmerzhaft ist. Kunstwerke sind in der Regel Spiegel ihrer Zeit, sie sind zweckgerichtet an ein Publikum, dessen gesellschaftsvertraglich festgelegte Vorstellungen und Wirklichkeiten sie lediglich visualisieren.

Am künstlerischen Umgang mit der Susanna-Sage kann man daher durchaus eine Steigerung der Kompetenz (aufgeklärter) Gesellschaften bezüglich geschlechtlicher Gleichberechtigung „ablesen“; obgleich deren Erwerb nicht kontinuierlich, sondern langsam, unstetig und behäbig verläuft.
Die Ausstellung ist noch bis zum 26. Februar 2023 zu besuchen. Nähere Informationen gibt es hier.
Kathrin Engelmann
Kathrin Engelmann
Doktorandin bei Frau Prof. Anne-Marie Bonnet, Universität Bonn.