Zwei weiße Teppiche übernehmen beinahe die gesamten Grundflächen des Obergeschosses und brechen mit der strengen Innenarchitektur. Als Grundriss und Maßeinheit dient der vorhandene Raum, den Kretschmann allerdings perspektivisch versetzt, um weitere Dimensionen zu fördern.
Die in-situ entwickelten Bodenarbeiten aus feingesiebten Pigment- und Gipsstaub zentrieren die Betrachter-Wahrnehmung nicht allein auf das Werk im Fußraum, sondern eröffnen sogleich ein hypervisuelles Werk-Zeit-und-Raum-Verständnis. Denn das, was sich während der Ausstellungdauer auf der Binnenfläche zusätzlich ablagern wird, konstituiert sich täglich neu – jegliche Berührung wird somit sichtbar.
Eine Analogie zum „weißen Fleck“ auf der Landkarte, welcher zum Gegenstand für das Unerschlossene und Unbekannte fungiert und seit jeher Neugierde, Expeditionsverlangen und Bewusstseinserweiterung weckt, ist für das Werk immanent. Dieser Aspekt wird durch weitere performative Arbeiten im Treppenhaus fortgeführt. Kretschmann begibt sich mit ihrer Arbeit „Inside Out“, welche als Performance im Rahmen der Eröffnung entstand, selbst auf eine Spurensuche. Anhand von Dachpappennägeln markiert sie auf den Wänden die mittelbare Galerie-Geschichte und bindet diese in ihr Display ein. Wandlöcher vergangener Hängungen werden wieder hervorgehoben, auf der gegenüberliegenden Wand gespiegelt und mit der Gegenwart vermischt. So problematisiert sie nicht zuletzt die Vergänglichkeit im „Betriebssystem Kunst“, in dem das rasche Bespielen und Negieren in den Galerieräumen unverzichtbar geworden ist.
Ferner präsentiert Kretschmann aber auch Arbeiten in Formaten, welche dem Galeriewesen vertraut sind. Die Editionen „Floor Work“ (Grafit auf Papier, mehrere Bögen geschichtete / 2018) und „Form of the Day“ (loses Pigment zwischen Glas / 2017) sind Beispiele für das sensible und vielfältige Schaffensspektrum der Künstlerin.