Die vier Elemente als Materialien: Joseph Beuys aus einer neuen künstlerischen Perspektive

Lennart Lahuis Hydrology, 2023 Rauminstallation Courtesy the artist Foto: Lennart Lahuis © Musem Schloss Moyland

Das Museum Schloss Moyland präsentierte vom 27. Januar bis zum 26. Mai 2024 die erste Soloausstellung von Lennart Lahuis (1986 in Hengelo geboren) mit dem Titel: „EARTH FIRE WATER AIR. Lennart Lahuis & Joseph Beuys“ - inspiriert von einer Zeichnung Joseph Beuys von 1949 mit dem Titel: „Erde Feuer Wasser Luft“. Kuratiert wurde die Ausstellung von Antje-Britt Mählmann unter der grundsätzlichen Idee: Internationale Künstler*innen im Beuysbestand der Sammlung recherchieren zu lassen und auf dieser Basis neue Ausstellungen im Dialog zu realisieren. Es ging dabei bewusst auch darum zu fragen, welchen Einfluss Joseph Beuys auf die Gegenwart nimmt und welche Interessen aus künstlerischer Perspektive hervorgerufen werden.
Thema der Ausstellung war die Auseinandersetzung mit der Beziehung der Werke Beuys zu den vier Elementen als Materialien: Feuer, Erde, Wasser und Luft. Lahuis fragt einerseits, wie Beuys mit den vier Elementen arbeitete, andererseits integrierte er auch sein eigenes künstlerisches Interesse an den Funktionen der vier Elemente. Gezeigt wurden Installationen, Fotografien und Objekte von Lahuis im Dialog mit ausgewählten Kunstwerken von Beuys. Dabei eint beide Künstler das grundsätzliche Interesse an naturwissenschaftlichen Fragestellungen, wie beispielsweise die natürlichen Prozesse der Elemente oder die Eigenart von Zeit.
Der erste Ausstellungsraum stellte das Element Feuer und die damit verbundene Erzeugung von Energie in den Mittelpunkt. Beuys nahm 1969 eine Zeitung, legte sie in einen Gully und zündete sie an. Die verbrennende Zeitung war nicht zu sehen, sondern nur das „fließende“ Feuer aus dem Gully. Mit dieser poetischen Handlung schuf Beuys ein immaterielles Kunstwerk und verknüpfte gegenwärtige Vorgänge mit dem Thema der Vergänglichkeit.
An dieses Verständnis für das Element Feuer knüpfte Lahuis an. Inspiriert von der Aktion Ausfegen Beuys vom 1. Mai 1972, entstanden 2024 acht Fotografien unter dem Titel „Pressing Issues“ (Abb. 1.). Beuys fegte während seiner Aktion den Karl-Marx-Platz nach den Demonstrationen zum Tag der Arbeit, was eigentlich Gastarbeiter übernommen hätten. Seine Aktion ist festgehalten auf mehreren Fotografien, welche die Spuren der Demonstration durch Transparente sowie die politische Gruppierung der „Linken“ als eine Einheit festhalten. Lahuis begab sich als Reaktion auf Beuys Aktion zu einer 1. Mai Demonstration 2023 nach Brüssel und nahm acht Fotografien auf. Diese Zeugnisse präparierte er mit einer Schutzschicht, sodass sie durch Feuereinwirkung nicht ganz verbrannten, sondern nur halb verkohlt, noch lesbar, mit Asche überzogen und unzähligen Verbrennungsresten im Ausstellungsraum präsentiert wurden. Erkennbar auf den Fotografien sind differenzierbare Flugblätter und Transparente. Schilder werden nicht von einer zusammenhängenden Gruppierung hochgehalten, sondern von Einzelpersonen. Mit „Pressing Issues“ hebt Lahuis die „Linke“ der Gegenwart hervor und zeigt die Zersplitterung sowie Fragmentierung dieser politischen Gruppierung. Dynamische Entwicklungen und der Wandel politischer Bewegungen werden so ganz deutlich gemacht.
Der darauffolgende Ausstellungsraum nahm Bezug auf das Element Luft, wobei die Kunstwerke auf den ersten Blick nicht unbedingt eine direkte Verbindung zum Element Luft aufweisen, sondern die Zeit thematisieren. Beuys beschäftigte sich seinerzeit auch mit Kosmologie und den Planten in seinen Werken. Unter anderem davon angeregt, betrachtet Lahuis hier das Verhältnis und die unterschiedlichen Dimensionen zwischen astronomischer- und menschlicher Zeit im Zusammenspiel von Bildern. Mit dem Werk „Astromelancholia“ (2020/24)(Abb. 2) stellte Lahuis eine astronomische Uhr aus, die in vier Ringe unterteilt ist, welche jeweils nach eigenen astronomischen Zeitrahmen funktionieren (Sonnenzeit, siderische Zeit, Mondkalender und Mond- sowie Sonnenfinsternissen). Im Voraus wurde eine Fotografie an die Uhr angebracht, die mehrere Luftballons vor einem Gebäude mit einer Uhr zeigt, welche Lahuis auch am Tag der Arbeit in Brüssel 2023 aufnahm. Da alle Ringe dieser Uhr nach unterschiedlichen Zeitzonen funktionieren hat sich die Fotografie mit der Zeit verschoben. Das klare Bild lässt nur noch fragmentierte Stücke erkennen, die sich in der menschlichen Wahrnehmung von Zeit nur sehr langsam weiterbewegen. Der Bildinhalt der Fotografie ist aufgehoben und erst nach 18,6 Jahren würde die Uhr wieder die ausgangs angebrachte Fotografie anzeigen. Die Orientierung an einer bestimmten Zeitstruktur ist wie die Luft Grundvoraussetzung der heutigen menschlichen Existenz. Beim Betrachten der astronomischen Uhr und der damit einhergehenden Auflösung des Bildinhaltes kann sich nicht an einer Zeitzone orientiert werden. Es spielen unterschiedliche Zeitzonen zusammen, die an dem Auflösungs- wie Zusammenführungsprozess des Bildes beteiligt sind, was wiederum die differenzierte Wahrnehmung und Funktion von Zeit in Wechselwirkung zum Bild deutlich macht.
Der nächste Ausstellungsraum thematisierte das Element Erde. Die Besucher*innen wurden direkt mit einem gewaltigen Wassertank konfrontiert, in dem Kleidungsstücke von Lahuis und eine Taschenlampe schwammen. Während der Ausstellung enthielt das Wasser etliche Tonpartikel, die in Zeitabständen, nachdem sie sich am Boden abgesetzt hatten, durch eine Pumpe wieder umher gewirbelt wurden. Die Tonteilchen verschleierten die Textilien zunächst, bis das Wasser wieder klar war und die zugefügten Objekte aufs Neue zu sehen waren. „Settling Sediment“ (Abb. 3) entsprach so einem ständigen Mechanismus des Erscheinens und Verschleierns. Diese Arbeit von Lahuis spielt einerseits auf die Kultkleidung von Beuys (Filzanzug) an und ist andererseits eine Reaktion auf „das Unterwasserbuch“ Beuys und Lothar Wolleh von 1972, bei dem ein beleuchtetes Buch Unterwasser gezeigt werden sollte, was jedoch nicht realisiert wurde. Lahuis führt mit seinem Werk in gewisser Weise das unrealisierte Projekt Beuys fort, integriert jedoch seine eigene Faszination von dem Verhältnis von Tonteilchen zu Wasser und hebt durch die Präsentation seiner eignen Kleidungsstücke die Abwesenheit seiner selbst hervor. Die Tonteilchen des Wassertanks sind dieselben, die sich in den Tonfragmenten in den aufgestellten Kisten hinter dem Wassertank befanden. Es handelt sich um erodierte Tontafeln, in die Lahuis vorab einen wissenschaftlichen Artikel einritzte, der den Erosionsprozess des Vereinigten Königreichs vom europäischen Festland zum Inhalt hat. Die Tonfragmenten die nun in der Ausstellung präsentiert wurden, spielen unter Voraussetzung dieser Kontextinformationen einerseits auf das Auseinanderbrechen von Erdböden und andererseits auf die Sinnverschiebung des Artikels an.
Wasser als viertes Element war Thema des letzten Ausstellungsraums. Mit dem Werk „Hydrology“ (Abb. 5), das aus vier Wasser-Reservoirs besteht, die durch einen Nebelmacher die Wörter: „FROM OCANS TO CLOUDS / TO RAIN TO RIVERS / TO OCEANS TO CLOUDS / TO RAIN TO RIVERS“, in Form von Dampf für ca. eine Sekunde an der Oberfläche erscheinen lassen, wird der Wasserkreislauf der Erde beschrieben. Für Lahuis steht auch hier Flüchtigkeit und Vergänglichkeit als natürlicher Prozess im Zentrum, der das Spannungsverhältnis zwischen feststehenden Wörtern und dem flüchtigen, leichten Dampf verdeutlicht. Man verweilte ganz automatisch länger vor diesen Installationen, um alle Wörter in ihrer Reihenfolge und zusammenhängenden Bedeutung aufnehmen zu können, was erst nach mehreren Malen des Dampfauslasses möglich war. Diese Installation machte einen Kernpunkt der Ausstellung, der sich auch auf alle hier vorgestellten Werke bezieht, deutlich. Lahuis betont: „Texte und Bilder werden zu sehr fragilen Strukturen, wenn man sie in Beziehung zu größeren Zeiträumen oder den Elementen setzt: es geht um die Fragilität von Information.“
Die Ausstellung gab all diese hier gegebenen Kontextinformationen und direkten Bezüge zu Beuys nicht vor, eher wurde viel Raum für eigene Interpretationen und Überlegungen gegeben. Die Betrachter*innen konnten so ihr eigenes Verständnis und die Bedeutung der vier Elemente auf neue Weise entdecken, die einem womöglich auch aus einer ganz neuen Perspektive und erweiterten Sinnzusammenhängen erschienen.
Zum Nachlesen und für weitere Informationen: Earth Fire Water Air: Lennart Lahuis & Joseph Beuys, hg. von Antje-Britt Mählmann (Ausst.-Kat., Museum Schloss Moyland 27.1.2024-26.5.2024), Museum Schloss Moyland 2024.