Die In Situ Art Society e.V. – Frischer Wind weht durch das Musikleben der Stadt

Bonn ist Beethovenstadt. So präsentiert sie sich. Wer einmal nach Bonn reist, wird nur schwer am markanten Antlitz des Komponisten vorbeikommen, sei es in Form von Souvenirs oder den vielen, über den Stadtraum verteilten Bildnissen. Sucht man nach zeitgenössischer Musik, stellt man fest, dass sie einem nicht so ohne weiteres über den Weg läuft. Doch es gibt sie, scheint auch im ersten Moment die in Teilen musikalisch etwas angestaubte Stadt nur schwer vereinbar, mit einer lebendigen Szene für zeitgenössische Musik. Im Vergleich zu Städten wie Wuppertal, in der sich seit den 60er Jahren unter anderem durch die Musiker Peter Kowald und Peter Brötzmann eine Szene für Free-Jazz entwickelte, oder Köln als Zentrum der Neuen Musik, das mit dem Loft bereits seit drei Jahrzehnten eine Plattform für aktuelle Musik auch im Bereich Improvisation und Jazz bietet, stellt die In Situ Art Society innerhalb Bonns eine völlig neue Entwicklung dar. Möchte sich die Stadt auch in Zukunft als attraktiver Kulturstandort präsentieren, tragen Entwicklungen wie diese zu einem positiven Image musikalischer Vielfältigkeit bei und sind daher beachtenswert.
Mit der In Situ Art Society verfolgen ihre Gründer Pavel Borodin und Georges Paul seit nun schon fast zwei Jahren mit einigem Erfolg das Ziel, in Bonn eine Szene für zeitgenössische Musik zu etablieren, die ewige Beethovenstadt dadurch um einen wesentlichen künstlerischen Aspekt zu bereichern. Bereits der Name des gemeinnützigen Vereins lässt erahnen, worauf es den beiden in musikalischer Hinsicht ankommt: Die Musik mit der Improvisation als wiederkehrendes Element aller vertretenen musikalischen Genres findet einmalig und vor Ort statt. Gleichzeitig ist eben jener Ort die Stadt Bonn.
In der intimen Wohn- beziehungsweise Hinterzimmeratmosphäre des Café Lieblich gaben die musikversessenen In Situ-Gründer im gemeinsamen Gespräch Vieles über ihre Vorstellungen von Kunst und gesellschaftlichem Dialog preis. Als Georges Paul, Philosoph, Saxophonist und Bassist, und Pavel Borodin, Informatiker und Dokumentarfilmproduzent, sich ein paar Jahre zuvor über ihre gemeinsame Obsession für Musik anfreundeten, waren sie sich der Fehlstelle im Bereich zeitgenössischer Musik in Bonn nur allzu bewusst. Trotz des Wohlstands und zahlreicher kreativer Impulse der jungen Bevölkerung, hauptsächlich angezogen von der Universität, gab es in der Stadt kein breites Verständnis, keine allgemeine Bewegung hin zu einem experimentellen Musikformat im Bereich der Improvisation und des Free-Jazz. Die Gründung der In Situ Art Society, so hatten beide es wahrgenommen, sei daher die natürliche Entwicklung ihrer Freundschaft gewesen. Die empfundene Notwendigkeit, dieser Kunstform einen Raum zu verschaffen, stiftete ein so verbindendes Moment, dass Unterschiede wie Herkunft und Profession dahinter verschwanden. Diese Gemeinschaft stiftende Kraft lässt sich gleichsam auf den Verein übertragen. Es geht um kollektive Überzeugungen, die über den Einzelnen hinausreichen. Musik als etwas Zeitgebundenes, als ein Prozess, bildet immer auch das Reale ab. Sie schafft Raum für gesellschaftlichen Diskurs und leistet gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zum selbigen.

Die Art von Musik, die einem bei Konzerten der Reihe der Dissonant Series begegnet, möchte nicht gefallen. Sie ist persönlicher Ausdruck der jeweiligen Musiker, die in unterschiedlichen Besetzungen miteinander interagieren. In ihren bislang 48 Konzerten zog die In Situ Art Society dabei musikalische Größen von nationalem und internationalem Format an. So waren im April diesen Jahres der bereits erwähnte Saxophonist und Klarinettist Peter Brötzmann mit dem Posaunisten Steve Swell und dem Schlagzeuger Paal Nilssen-Love als Trio zu hören. Rein nach den Besucherzahlen gemessen war dies das bislang erfolgreichste Konzert der Reihe. Mit einem abwechslungsreichen Programm traten die drei Musiker in der Stamm-Spielstätte der In Situ Art Society, des in der Nordstadt gelegenen Dialograums Kreuzung an St. Helena, in einen konzentrierten Dialog und lieferten Free-Jazz vom feinsten, der sich nur schwer mit Worten wiedergeben lässt.
Ein weiteres Trio – dort hören die Gemeinsamkeiten zum gerade beschriebenen Konzert aber auch schon auf – war Anfang Juni am selben Ort zu hören. Hierbei handelte es sich um den Bassisten Robert Landfermann, den Perkussionisten Etienne Nillesen und den Bonner Musiker am Elektronik-Set Eckard Vossas. Die in der ersten Hälfte nacheinander auftretenden und in der zweiten Hälfte dann als Trio zu hörenden Musiker boten ein bisweilen fast harmonisches Zusammenspiel, in dem das elektronische Instrumentarium als bewusster Störfaktor eingesetzt wurde. Einen interessanten Gegensatz bildeten zudem das reduzierte Instrumentarium Landfermanns und Nillesens, dessen Aufbau sich auf eine präparierte kleine Trommel mit auf dem Fell aufliegenden Becken und wenigen zusätzlichen Klangerzeugern beschränkte, zu dem großen Kelstone-Synthesizer-Computer-Set Vossas‘. Beide Konzerte sind ein Beispiel für die Vielfältigkeit des musikalischen Spektrums der Dissonant Series. Internationale Free-Jazz-Legenden wie Brötzmann werden in eine Reihe gestellt mit eher lokal bekannten Künstlern wie Eckard Vossas. Auch wenn sie nicht gleichzeitig zu hören waren, bilden sie einen Teil des musikalischen Dialogs, der die In Situ Art Society ausmacht. Als verbindendes Element dienen außerdem die zu jedem einzelnen Konzert erscheinenden Flyer, die für sich genommen schon eine eigene ästhetische Qualität besitzen.

Doch beschränkt sich das Engagement der In Situ Art Society nicht allein auf die Organisation von Konzertreihen. Seit ihrem bald zweijährigen Bestehen präsentierte sie bisher zwei fotografische Ausstellungen, die erste von Yuri Brodsky, die zweite von Peter Gannushkin. Die Werke des sich auf Musik-Fotografie spezialisierten Gannushkins, die bereits in Köln zu sehen waren und in Amsterdam noch bis Mitte Juli ausgestellt sind, werden im September schließlich nach Bonn kommen. Die nächsten Konzerte werden am 15. und 29. Juli sowie am 21. August 2016 stattfinden. Zu hören sein werden unter anderem das Vagrancy Ensemble sowie Georges Paul und Steve Noble.

Auch für die Zukunft planen Pavel Borodin und Georges Paul noch ein richtig großes Ding: Wenn es finanziell weiterhin gut läuft, ist für das kommende Jahr ein eigenes Musik-Festival als nächster Schritt des kreativen Kollektivs angedacht. All diese Entwicklungen lassen durchaus hoffen, dass die zeitgenössische Musik in Bonn auch weiterhin und immer deutlicher eine eigene Stimme bekommt. Vielleicht bedarf es bisweilen des frischen Blicks von außen, mit dem die Gründer der In Situ Art Society vor einigen Jahren in die Stadt kamen, um neue Impulse anzustoßen.