Das Mittelalter – Von wegen dunkel!

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Im Besitz des Museum Schnütgen befinden sich ungefähr 13 000 Exponate christlicher Kunst – bei Weiten zu viele für die begrenzte räumliche Fläche der Dauerausstellung rund um St. Cäcilien, in der lediglich rund 500 Objekte zeitgleich präsentiert werden können. Mit der Sonderausstellung Expedition Mittelalter – Das verborgene Museum Schnütgen wird nun die Gelegenheit genutzt, dem Besucher die mannigfaltige Breite des Sammlungsbestandes vorzuführen.
Die in Themenfelder gegliederte Reise durch das Mittelalter beginnt in einem (Kloster-) Garten. Die Farbe Grün dominiert. Mit Kapitellen und einem fulminanten barocken Gartentor wird die mittelalterliche Vorstellung eines hortus conclusus suggeriert, der ein wichtiges Bildmotiv der Mariensymbolik (Sinnbilder der Mutter Gottes) darstellt. Ein weiteres Highlight dieses Themenfeldes bildet ein Prachtblatt der Schedelschen Weltchronik (fränkisch/nürnbergisch - 15. Jahrhundert). Es besticht durch eine handwerkliche Qualität der Abbildungen, die Rückschlüsse erlaubt ob der Bedeutung der Schöpfungsgeschichte für die damalige Laienfrömmigkeit. Der Einfluss der Kirche als steuernde Instanz jeden Aspekts des damaligen menschlichen Daseins ist in der Ausstellung allgegenwärtig.
Ein nächster Bereich widmet sich explizit den Heiligen. Diese wurden als Stadtpatrone zu Personifikationen von Idealen und Tugenden, an denen sich die Bürgerschaft orientieren sollte. In Köln wurden besonders die Hl. Ursula und der Hl. Gereon samt ihres Martyriums als Vorbilder für tugendhaftes Handeln verehrt. Zudem war Köln im Mittelalter ein Sammelbecken allerlei Reisender: Als Handelsstadt für Kaufleute samt Stapelrecht, welches diese in der Stadt für einige Tage hielt; Für Pilger, die in die zwölf romanischen Kirchen (u. a. Groß St. Martin) sowie zum Dreikönigsschrein in den Dom strömten sowie für den Klerus, der Köln als Bistumssitz nutzte. Es bestand dementsprechend grundsätzlich Bedarf an einer Vielzahl von religiös aufgeladenen Kunstwerken.
Das beeindruckteste Themenfeld der Ausstellung widmet sich der Genese der Madonnendarstellungen unter der Überschrift Begegnung von Himmel und Erde: Maria. Anhand von hochwertigen Plastiken lässt sich in ihr der Mythos des rückständigen Mittelalters formidabel widerlegen. Statuen der Mutter Gottes kamen in der christlichen Kunst erst relativ spät auf, wurde doch eine Verwechselungen mit heidnischen Göttern der Antike gefürchtet. Der Kanon erster Madonnen-Darstellungen ist daher ein strenger: Steifer Körper plus inhaltsloses Gesicht ohne jegliche Emotionalität. Erst Anfang des 14. Jahrhunderts setzt eine Entwicklung ein, welche die Menschlichkeit Marias berücksichtigte. Fortan orientierten sich kölnische Bildhauer an Büsten der Hl. Ursula, in denen sie trotz ihres Martyriums ihren Bewunderern stets lächelnd präsentiert wurde.

Ein weiteres Beispiel für die Dynamik des Mittelalters ist die Madonna vom Tongerschen Haus (>1310). Anfangs fälschlich in Köln verortet, steht dieses gut erhaltene Exemplar lothringischer Bildhauerkunst mit seinem S-förmigen Körperbau, dem lockerem Standbein sowie den Schüsselfalten für eine neue Form der Marienfrömmigkeit, die auch im Rheinland Einzug halten sollte: Eine abweisende Körperhaltung gegenüber den Gläubigen wich auffordernder Interaktion mit Mutter und Kind. Der Geschmack der Menschen wandelte sich stetig. Das Mittelalter ist mit Nichten das finstere, unmündige Zeitalter zwischen kulturellen Glanz von Antike und früher Neuzeit. Auch auf literarischer Ebene entstanden Glanzleistungen, wie etwa der phantasievolle französische Reisebericht des Jean de Mandelville (1357-71), der diesen Abschnitt didaktisch abrundet.

In weiteren Themenfeldern wie den mittelalterlichen „Gemeinschaften“ oder dem „Reich der Sinne“ wird die Diversität und Struktur der gesellschaftlichen Ordnung sowie die rein materielle Wucht der Kirche an Beispielen veranschaulicht. Ihren atmosphärischen Höhepunkt findet die Ausstellung in einem besonderen Wirkungsraum mit der prächtigen Kasel des Kölner Erzbischofs Anno (1010-75) aus Purpurseide im Zentrum. Die rein materielle Kostbarkeit dieses Stückes, welches zum ersten Mal ohne jegliche Schutzvorrichtung zu bewundern ist, wird ferner durch eine dezente gedimmte Lichtführung unterstrichen. Der Legende nach handelt es sich bei jenem liturgischen Gewand um eine sogenannte Berührungsreliquie. Anno, der zeitlebens ein schwieriges Verhältnis zu den Kölnern pflegte, soll in ihm bestattet worden sein. In der Praxis nicht belegbar und aus restauratorischer Sicht unrealistisch erklärt sie doch den guten Erhaltungszustand des Exponats.

Die Ausstellungsarchitektur begleitet in ihrem Kolorit die jeweiligen Themenfelder. Sie harmonisiert mit der Anordnung der Exponate. Expedition Mittelalter – Das verborgene Museum Schnütgen zeigt das riesige Potenzial, das noch im Depot schlummert – Ein Faustpfand sowohl für die Wissenschaft als auch den Besucher. Nach einem Gang durch diese Sonderausstellung kann von einem farblosen Mittelalter nicht mehr die Rede sein.
Die Ausstellung ist noch bis zum 28. Januar 2018 im Schnütgen Museum zu besichtigen.
Eintritt: 8 € / 5 €; Die Öffnungszeiten und weitere Informationen entnehmen Sie bitte der Homepage des Museums!
Kathrin Engelmann
Kathrin Engelmann
Doktorandin bei Frau Prof. Anne-Marie Bonnet, Universität Bonn.