And the winner is.. Louisa Clement

"[It] cut and cut and cut“ - bis wir sicher sind, bis alles Böse fort ist, bis wir tot sind.
Louisa Clements Ausstellung Becoming Lost wird gerade anlässlich des Bonner Kunstpreises im Kunstmuseum Bonn gezeigt. Hierfür entwickelte die Künstlerin zwei neue Videoarbeiten, die ihr Werk organisch erweitern. Die Kunstpreisgewinnerin beschäftigt sich mit Körperlichkeit und menschlicher Existenz im Digitalen und lotet die Möglichkeiten in dem Feld immer wieder aus. Die Videoarbeiten Off-target-effect (2023) und Believers (2023) evozieren dabei utopische wie dystopische Fantasien.
I cut – you die
"I sort", "I standardise", "I will make you exclusive". In Off-target-effect spricht ein vorerst undefinierbares Gegenüber durch Text- und Bildfragmente zu uns, das die Mängel an unseren DNA-Strängen beheben möchte. Mit der anfänglichen Überzeugung, dass Krankheiten aus dem System des Menschen gelöscht werden sollen, wird bei "you will be perfect looking, intelligent as healthy" bewusst, dass Schönheitsideale gleich mitgedacht werden. Mit immer wiederkehrenden Bildfragmenten einer modifizierten Eizelle können die Betrachtenden das Ziel der Stimme erahnen: die Idealisierung des Individuums. In Erinnerung an Clements lebensgroße, KI-gesteuerte Repräsentantin (2022), die als 'idealisierter' Klon der Künstlerin gilt, führt die Videoarbeit zu den beständigen Fragen in ihrem Werk zurück: Lässt 'Perfektion' Raum für Individualität? Wo sind die ethischen Grenzen in der Idealisierung des Menschen? Dabei bleibt die Frage offen, nach welchem kulturellen Schönheitsideal dieses Gegenüber eigentlich strebt. "I cut and cut and cut until you are dead before you live" zeigt einen bedrohlichen Aspekt auf, der doppeldeutig zu verstehen ist. Es weist auf das Herausschneiden aus der DNA hin, bis keine Körperlichkeit mehr vorhanden ist oder etwa bis dem Menschen keine markanten Eigenschaften geblieben sind.
Die Modifizierung von DNA-Strängen (genannt Crispr/Cas9 oder "Genschere"), auf die Clement anspielt und die 2023 zum ersten Mal in der EU für Blutkrankheiten zugelassen wurde, ist damit keine utopische Fantasie mehr.
Die Arbeit Compression (2023) ergänzt den Ausstellungsraum. Eine kleine Kapsel in einem leuchtenden, hochstehenden Glaskasten, ist als Erweiterung der Videoarbeit zu sehen. Sie zeigt uns die technischen Möglichkeiten der DNA-Generierung und -Modifizierung, die Clement mit ihrem bisherigen Werkverzeichnis durch eine biokybernetische Speichermethode bespielte. Mit einer Konservierungszeit von bis zu 1000 Jahren wird ihr 'Archiv' sie selbst überleben.
Zusätzlich ließ sie sich den DNA-Code ihres Verzeichnisses injizieren. Mit der körperlichen Verschmelzung von Werk und Künstlerin weist Clement auf eine biokapitalistische Ausbeutung hin.
KI in Gottes Ohr
Computergenerierte, freundlich klingende Stimmen hallen aus der gegenüberliegenden Ecke des Ausstellungsraums. Sie leiten in Clements zweite Videoarbeit Believers ein, das neben Off-target-effect Ergebnis ihres Stipendiums ist.
Abwechselnd werden einzelne und schließlich mehrere Personen in collagenhaften, bunten Bildausschnitten gezeigt. Die Hände werden zusammengehalten, beinahe so, als würden sie beten, während sie direkt zu den Betrachtenden sprechen. Ausgangspunkt dieser Arbeit ist der Deutsche Evangelische Kirchentag, zu dem in Nürnberg KI-generierte Prediger*innen ebenso KI-generierte Predigten hielten. Clement zeigt die Absurdität auf, die entsteht, wenn der Computer zur vermittelnden Instanz zwischen Himmel und Erde wird. Sie gibt ein Exempel von der KI, die mit stumpfer, überlagerter Stimme vorgefertigte und zugeschnittene Bibelphrasen reproduziert. Den Betrachter*innen bleibt die Sicherheit, dass der Computer dies ohne religiöse Überzeugung wiedergibt.
Ob durch die 'Avatare' trotzdem Spiritualität vermittelt werden kann, ist abhängig von den Zuhörer*innen. Sollte die menschliche Nahbarkeit in der KI ausbleiben, ist wie so oft abzuwarten, wie sie [die KI] sich entwickeln wird. Inwieweit Clement uns die Zukunft mit ihren Werken bereits aufgezeigt hat, wird sich dann ebenfalls zeigen.
Der Kunstpreis wird in einem Abstand von 2 Jahren an Kunstschaffende aus dem Rheinland vergeben und mit einer Einzelausstellung im Kunstmuseum Bonn gewürdigt. Durch die Unterstützung von Dr. Stephanie und Wolfgang Bohn ist es den Preisträger*innen möglich, ein Stipendium in einer Stadt ihrer Wahl zu absolvieren, welches Louisa Clement nach Paris zog.

Becoming Lost, kuratiert von Dr. Barbara J. Scheuermann, ist bis zum 16. Juni 2024 im Kunstmuseum Bonn zu sehen.