Beuys being Beuys

Kunstmuseum Bonn

Nachgeschaut: Wer Lust hatte, sich nach der Zwangsentschleunigung der letzten Monate einmal wieder so richtig zu fordern, dem wurde in den heiligen Hallen der Bonner Bundeskunsthalle in den letzten Monaten einiges geboten: Das vergangene Jahr war nämlich nicht nur das der Promi-Virolog*innen und NFT-Rekordpreise, sondern auch das Jahr, in dem Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden wäre. Im Zuge dessen widmete ganz NRW dem Künstler eine Jubiläumsschau: „rund 25 institutionen in 13 städten (luden) dazu ein, mit beuys ins gespräch zu treten und seine bedeu-tung für die internationale kunst wie für die gesellschaft zu ergründen.1 “ Spätestens 2021, als alle fünf Minuten ein*e Autor*in mit einer neuen Beuys-Biografie vom Berg stieg, jede Litfaßsäule plötzlich Filz trug und einen die fordernden Phrasen des Krefelders aus jeder Bahnstation anschrien, lohnte ein Gang ins Museum. Wer Joseph Beuys mag, dem wird von der Rollkragenpulli tragenden Hornbrillen-Elite anerkennend zugenickt, während einen der Rest der Welt ansieht, als wäre man ein Opfer des Stockholm-Syndroms und müsste ganz dringend in eine Aludecke gehüllt werden.2 Warum ist das so? Warum polarisiert Beuys immer noch so sehr, und warum lohnt es sich auch noch 35 Jahre nach seinem Tod Beuys zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen, auszustellen und zu vermitteln? In „Beuys – Lehmbruck. Denken ist Plastik“ wurde Beuys in Bezug zu seinem selbsterwählten Lehrer, Wilhelm Lehmbruck, gesetzt. Beuys Dankesrede zur Verleihung des Lehmbruckpreises, kurz vor seinem eigenen Tod, war der Aufhänger für eine Spurensuche nach Parallelen in Werkmotiven der beiden Künstler. Lehmbruck rahmte hierbei seinen ‘Schüler‘, während dieser, seinem runden Geburtstag angemessen, die Ausstellung befüllte.3 In seiner Dankesrede stellt Beuys Lehmbruck als eine Art platonischen Lehrer dar, der ihn mit der Flamme der Inspiration entfachte und aus der dunklen Höhle seines Daseins ans Licht der künst-lerischen Erkenntnis führte.
Wer die Ausstellung besuchte, dem wurden inhaltlich zwei Künstler vorgestellt, die durch ihre Sicht auf die Welt, über die Grenzen von Raum und Zeit hinweg, miteinander verbunden sind. Lehm-bruck, wie Beuys bemühten sich mit Hilfe der Abstraktion die Essenz einer Sache künstlerisch einzufangen, zeitweise auf Kosten der Zugänglichkeit und fern einer gefälligen Ästhetik. Als er-weckter Schüler Lehmbrucks, machte Beuys es zur Aufgabe seines künstlerischen Schaffens, auf Missstände hinzuweisen, Kritik an Politik, Gesellschaft und Establishment zu üben. Damit stieß er nicht nur auf Anerkennung. Werke wie: „Demokratie ist lustig“ konservieren hier Schlüsselmomente des beuysschen Aneckens für die Kunstgeschichte. Beuys nutzte seine Professur an der Düssel-dorfer Kunstakademie, um ein Zeichen gegen elitäre Aufnahmekriterien und exklusive Bildungs-chancen zu setzen, indem er diese kurzerhand aussetzte. Die Folge: 1972 wurde Beuys unter polizeilicher Aufsicht aus der Akademie gebeten; der offizielle Entzug seiner Professur folgte kurze Zeit später.

Die Deduktion, die das Foto ziert, wirkt sehr typisch für Beuys: Wenn sie den Mann mit Füßen tritt, der sich bemüht, sie zu bewahren, dann beweist die Demokratie Humor, einen perfiden, bösen, zynischen vielleicht, aber eben Humor. Genau wie der Ausschluss aus der Düsseldorfer Kunstak-ademie zur Gründung der FIU (der Freien Internationalen Universität) führte, so führte auch Beuys Parteiverdrossenheit mehr zu Aktivismus, denn zu Lethargie. So beteiligte Beuys sich 1980 aktiv an der Gründung der Partei „die Grünen“. Nebst Kritik am Bildungssystem rief Beuys mit seiner Aktion „7000 Eichen“ auch proaktiv zu gesamtgesellschaftlichem Engagement für mehr Umwelt-schutz auf und konterte damit das vorherrschende staatliche Desinteresse am Thema Nachhaltig-keit.
Die Ausstellung hangelte sich an den verschiedenen Institutionen, Konzepten und Werten, die der Politiker, Professor und Künstler Beuys kritisierte, mit ständigen Rückbezügen zu Lehmbruck entlang. Auch wurde schnell klar: Wenn uns Beuys mit Lehmbrucks Fackel Feuer unterm Hintern macht und uns mit seinen Aufrufen (zur politischen Beteiligung, zum Eichen pflanzen, zum Künst-ler sein) entzündet, dann traut er uns einiges zu. Mehr noch: Er fordert etwas ein. Beuys erklärt uns, wie sich selbst, zu mündigen Individuen, nicht nur fähig, sondern in der Verantwortung, diese Welt aktiv zu gestalten. So wie Sartre dem Menschen mit der Möglichkeit zur Freiheit auch die Pflicht zur Freiheit einräumt, so beginnt für Beuys mit dem Platz des Menschen im gesellschaftli-chen Gefüge auch die Pflicht zum selbstbewussten Formen eben dieses.4 Bekannte Ausrufe wie „Denken ist Plastik“, „Jeder Mensch ist ein Künstler“ und „Wer nicht denkt fliegt raus“, sind Ausdruck dieses Weltbildes. Sobald der Mensch denkt, ist er Teil der gesellschaft-lichen Plastik, im Rahmen dieser Teilhabe gestaltet er aktiv mit und wird so zum kreativen Erschaf-fer seiner eigenen Lebensrealität – zum Mitkünstler des Gesellschaftsbildes, das ihn umgibt. Und wenn er sich dieser Möglichkeit, dieses Privilegs, aber eben auch dieser Pflicht verwehrt – dann fliegt er eben raus.

Wer es sich zur Aufgabe macht, Beuys kritische Positionen zu beleuchten, der kommt an seiner Marktkritik nicht vorbei. „Creativity = Capital“ ist das perfekte Beispiel dafür, wie sehr Beuys den doppelten Boden liebte, wie wichtig ihm das Augenzwinkern hinter seinem linken Haken war. Wenn Sie tendenziell ein „das Glas ist halb voll“ – Mensch sind, klingt dieses Kunstwerk für Sie vielleicht nach ermutigendem Corporate-Sprech: „Ihre Kreativität ist Ihr Kapital, nutzen Sie es ge-winnbringend!“. Sind Sie eher von der kritischen Fraktion, dann demaskiert Beuys mit diesem Kunstwerk für Sie vielleicht eher die Perversion des Kunstmarkts.5 Diesbezüglich fand sich die Bundeskunsthalle in einer ambivalenten Rolle wieder. In Bezug auf Beuys Kritik am Kunstmarkt war sie nicht nur neutraler Ausstellungsort, sondern saß als Teil des Gefüges plötzlich mit auf der Anklagebank – ein Zustand, der die Frage nach der komplexen Be-ziehung zwischen Markt und Künstler*in aufwarf.
Natürlich hoffen die meisten Künstler*innen mit ihren Werken auf Erfolg, auch wenn sie Kunst nicht nur machen, um damit berühmt zu werden. Denn auch wenn die Frage berechtigt ist, ob man kapitalistisch-zielorientiert überhaupt „wahrhaftige“ Kunst erschaffen kann, so ist es in unserer Leistungsgesellschaft definitiv ein angenehmer Nebeneffekt, wenn man mit seiner Kunst Geld verdienen kann. Es besteht also in beide Richtungen eine gewisse Abhängigkeit: Künstler*innen hoffen auf Verbreitung und Verkauf ihrer Kunst durch Museen, Galerien, Messen, Kritiker*innen und Auktionshäuser, während die Daseinsberechtigung dieser Institutionen einzig und allein da-rauf basiert, dass Künstler*innen Kunst schaffen, die es auf dem Markt zu vertreten gilt. Dennoch monieren Institutionskritiker*innen immer wieder, dass sich die Künstler*innen hierbei in einer Da-vid gegen Goliath Position befinden, denn angeblich sind es doch die Institutionen, die definie-ren, was Kunst ist und was es wert ist, verkauft, gehängt, besprochen zu werden. Oft genug wird dabei suggeriert, es handle sich um eine wertneutrale, objektive Einschätzung, die nicht etwa davon abhängt, mit welchem Fuß die Kurator*in heute aufgestanden ist oder wie viele der reichs-ten 1 % dieses Landes glauben, Bilder von Heuschobern neben Chesterfieldsesseln wären Aus-druck gnadenloser Stilsicherheit. Das Bedürfnis der Künstler*innen sich aus dem Korsett eines musealen Deutungsmonopols zu emanzipieren formulierte sich über die Jahrzehnte unterschied-lich. Mit Blick auf die Geschichte der Institutionskritik, lassen sich hier zwei Wellen ausmachen6: Die Künstler*innen der ersten Welle verliehen ihrer kritischen Haltung Ausdruck, indem sie ver-mehrt Kunst machten, die die Rolle des Museums entweder inhaltlich in Frage stellte (Broodthaers, Haacke), oder sich eines Mediums bedienten, das nicht zur Konservierung in Vitri-nen bestimmt war (Smithson, Abramović). In der zweiten Welle der 1990er Jahre reagierten die Institutionen. Auch institutionskritische Werke wurden in den Kanon aufgenommen, Frauen und nicht-weiße Künstler*innen wurden repräsentativ ausgestellt, allerdings ohne, dass sich an den Strukturen hinter der Leinwand groß etwas änderte.
Das Museum konterte also mit Einverleibung der Institutionskritik und stellte die Künstler*innen in ihrem Versuch sich musealen Bewertungskriterien zu entziehen, somit vor ein Dilemma.

Beuys Werk „hiermit trete ich aus der Kunst aus“ führt uns dieses Dilemma eindrucksvoll vor Au-gen. Nach Beuys Credo „Denken ist Plastik“ ist jeder Mensch ein Künstler, ob er will oder nicht. Aus der Kunst auszutreten, wäre dem Menschen also Zeit seines Lebens versagt. Als erfolgrei-che*r Künstler*in verhält es sich genauso mit der Teilhabe und Abhängigkeit vom Markt. Der Künstler Beuys beschließt seinen Austritt aus der Kunst, und der Markt macht daraus mühelos ein vielrepliziertes Multiple.7 Was bleibt also? Gibt es nur die Option unbemerkt und erfolglos Kunst im stillen Kämmerlein zu machen und dementsprechend integer zu sein, aber ohne Einfluss zu bleiben? Oder Erfolg zu haben, vom Markt zu profitieren und dann „ungekaut, kurz verdaut und für immer vergessen“8 in der Höhle der Löwen zu verhallen? Der österreichische Philosoph und Kunsttheoretiker Gerald Raunig schlägt uns mit Rückgriff auf Foucaults Konzept der Kritik und Platons Version der parrhestias (der freien Rede) einen Alternativweg, eine Mischform beider Strategien vor: Er plädiert für radikale Institutionskritik innerhalb der zu kritisierenden Institution, die nicht davor zurückschreckt sich selbst in Frage zu stellen.9 Praktisch würde das bedeuten die kritische Distanziertheit zu sich selbst und der zu kritisierenden Institution aufrecht zu erhalten und gleichzeitig so sehr Teil des Gefüges zu sein, dass die eige-nen künstlerischen Äußerungen ein gewisses Gewicht haben.

Die Kritik des Künstlers Joseph Beuys hat es offensichtlich in die Eingeweide der Institution ge-schafft, doch zeugte die Ausstellung nicht gerade von einer selbstkritischen Haltung – weder sei-tens des Künstlers noch der Institution. Beuys Vergangenheit als Wehrmachtssoldat und die Vor-würfe der Prätention gegen ihn fanden kaum Beachtung, genauso unreflektiert wirkten Hängun-gen und Ticketpreise.
„(Joseph Beuys) engagiert sich für eine Kunst, die sich aus dem begrenzten Bereich von Museen und Galerien löst und mitten im Leben stattfindet.“ – laß es sich neben einem Display von beuyss-chen Installationen in kleinen Glaskästen. „Kunst ist nicht zum Verstehen da (...) Interpretationen halte ich eigentlich für schädlich“, mutig für einen Künstler, dessen verkopftes Werk ohne Interpre-tation nur noch Fett in einer Ecke ist. Formell tanzte die Ausstellung Hand in Hand mit Joseph Beuys einen paradoxen Drahtseilakt, auf dem schmalen Grat zwischen Kritik und Institution. Gnä-dig ließe sich sagen: Hier arbeiteten System und Systemkritiker symbiotisch Hand in Hand. Etwas ungnädiger: Es schien an Motivation der Institution zu mangeln, die Kritik zu reflektieren, die sie hier ausstellte. Und was jetzt? Nun, die Wahrheit ist: Ob es sich bei Beuys Institutionskritik allen Paradoxien zum Trotz wirklich um eine Idee handelt, die Wurzeln schlägt, oder ob die Ausstellung nur ein weiterer Beweis dafür war, dass die Bank immer gewinnt, können wir selbst maßgeblich mitbeeinflussen. Solange wache Geister an Beuys Werken vorbeigehen, solange wird Kritik, Dis-kurs, Paradoxie und Irritation eine Wirkung haben. Wer sich auch jetzt nach Ende der Ausstellung noch selbst ein Bild machen möchte: Begleitend zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, in dem sich die Ausstellung „nachschauen“ lässt. Tipp: Der Beitrag von Inke Hahnen.
Titel der Ausstellung: BEUYS – LEHMBRUCK. Denken ist Plastik
Ausstellungszeitraum: 25. Juni bis 01. November 2021
Ausstellungskatalog: Beuys – Lehmbruck. Denken ist Plastik, hg. Von der Kunst- und Ausstel-lungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Ausst.-Kat. Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, 25. Juni 2021 bis 01. November 2021), Bonn 2021.

Fußnoten:

1. So die offizielle Website der 100 Jahre Beuys Jubiläumsschau.

2. Schließlich musste sich Beuys, wie viele moderne Künstler*innen, oft genug dem Vorwurf der Scharlatanerie stellen. 26.000 Euro für eine rostige Stahlklinge in Filz – da mag so manche*r die Stirn runzeln. Quelle: Webpräsenz Auktionshaus Van Hamm.

3. So wurde man z.B. bereits im Eingang von Lehmbrucks „emporsteigender Jüngling“ begrüßt und von der Plastik „Kniende“ am Ende des Rundgangs verabschiedet, doch auch innerhalb der Ausstellung wurden im-mer wieder Werke der beiden Künstler nebeneinander und gegenüber gestellt.

4. Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, 1943.

5. Auch der Untertitel zur Ausstellung ließ sich doppeldeutig lesen: „Denken ist Plastik“ weißt entweder darauf hin, dass Denken Parallelen zum Material Plastik aufweist (inflationär weltüberschwemmend, wertentleert, aber nützlich und was einem sonst noch so einfällt), oder eben bereits im Akt des Denkens ein Mitwirken an Beuys sozialer Plastik erfolgt – bereits Denken würde den Menschen also nach Beuys zum Künstler ma-chen. Wir sehen: Kunst ist ein Angebot, kein starres Korsett, dass uns in eine interpretatorische Richtung zwangsverweist.

6. Hito Steyerl: Die Institution der Kritik, 2006.

7. Wenn diese Vervielfältigung hier auch ganz im Sinne Beuys war, so zeigt es doch wie schwer es fällt, dem System überhaupt zu entkommen.

8. Peter Fox: Stadtaffe, 2008.

9. Gerald Raunig: Fliehen, Instituieren, Transformieren, 2006.