Außergewöhnlich und artifiziell

Ein Besuch in der Frankfurter Ausstellung „Maniera“

Im Städel Museum in Frankfurt am Main ist noch bis zum 5. Juni 2016 die Ausstellung „Maniera“ zu sehen. Das für seine hochkarätigen Ausstellungen bekannte Haus widmet sich in dieser Schau der Malerei des Manierismus in Florenz und legt dabei das Augenmerk vor allem auf Jacopo Pontormo und seinen Schüler Agnolo Bronzino.
Sie gelten der Kunstgeschichte als Protagonisten einer künstlerischen Entwicklung, die sich mit den großen Vorbildern der Antike und der Hochrenaissance – insbesondere Raffael und Michelangelo – auseinandersetzte, um dabei zu ganz eigenen Ausdrucksformen zu gelangen. Damit etablierten sie ein Stilempfinden, das vor allem das Artifizielle und die individuelle Handschrift des Künstlers in den Mittelpunkt stellte. Sie schufen Kunstwerke, die ihren Kunstcharakter bewusst nach außen kehren. Giorgio Vasari bezeichnete dieses Phänomen in seinen Künstlerviten als „Maniera“ – ein so zentraler Begriff, dass die künstlerische Epoche als „Manierismus“ einen festen Platz in der Kunstgeschichte hat.

Das Kunstschaffen von Pontormo und Bronzino sowie ihrer Florentiner Zeitgenossen wird in Frankfurt durch eine Fülle hochkarätiger Werke gezeigt. Die beiden Maler bilden die zentrale Linie dieser Ausstellung, deren Nukleus Bronzinos Gemälde Dame in Rot, um 1533, ist, das sich seit 1882 im Besitz des Städelschen Kunstinstitutes befindet und den Anlass für das Ausstellungsprojekt gab.

Den Auftakt bildet jedoch das Porträt eines Goldschmiedes, das Jacopo Pontormo um 1518 geschaffen hat. Es empfängt den eintretenden Besucher an einer freistehenden Stirnwand und beeindruckt in der ausdrucksstarken Präsenz des porträtierten Mannes, der sich spontan umzublicken scheint. Von der Dynamik dieser der Körperhaltung gegenläufigen Bewegung, wird der Blick des Betrachters wie selbstverständlich auch auf die folgenden Gemälde gelenkt, die erkennen lassen, mit welchen Vorbildern sich Pontormo in diesem Porträt auseinandersetzte. Werke von Raffael, von Andrea del Sarto, von Rosso Fiorentino und insbesondere von Pontormo selbst geben einen Eindruck davon, welche Entwicklung die Florentiner Malerei in der zweiten Dekade des 16. Jahrhunderts nahm.
Als ordnendes Gefüge der Ausstellung dienen die politischen Ereignisse um die Familie der Medici, die maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Kunst ihrer Zeit nahm. So ist als Ausgangspunkt das Jahr 1512 gewählt, als die Medici nach Florenz zurückkehrten und ihre alte Machtstellung zurückerlangten. Der weitere Verlauf der Ausstellung gliedert sich nach den historischen Entwicklungen in Florenz und Rom, und findet seinen Endpunkt im Jahr 1568, als die Künstlerviten Vasaris publiziert wurden und den Grundstein für die historische Betrachtung der künstlerischen Epoche des Manierismus legten. Giorgio Vasari bildet auch als Maler und später Vertreter des Manierismus den Schlusspunkt der Ausstellung, da seine Werke im letzten Saal versammelt sind.

Innerhalb dieses Rundganges finden sich verschiedene thematische Schwerpunkte. So widmet sich beispielsweise ein Saal dem monumentalen repräsentativen Damenporträt, das besonders Bronzino in seiner Eigenschaft als Hofmaler der Medici prägte. Den Mittelpunkt bildet die Dame in Rot, die um das ebenso beeindruckende Porträt einer Dame in Grün, um 1530-32, ergänzt wird. Die souveräne Eleganz und die höfische Pracht, mit der Bronzino die Damen in malerischer Virtuosität verewigte, lassen erahnen, weshalb der Manierismus gerne auch als „the stylish style“ bezeichnet wird.

Einen weiteren thematischen Schwerpunkt bildet der Paragone – der Wettstreit der Kunstgattungen. Dieser wurde im Florenz des 16. Jahrhunderts intensiv geführt und erweckte das Bestreben der Künstler, sich in Malerei und Plastik gegenseitig zu überbieten. Es sind daher Kleinplastiken hochberühmter florentiner Bildhauer zu sehen, etwa von Giambologna oder Benvenuto Cellini. In diesen Werken werden zum einen die Bezüge zu Antike und Hochrenaissance ins Gedächtnis gerufen, was in einer bronzenen Replik der Laokoongruppe von Jacopo Sansovino aus dem Jahr 1507 besonders deutlich wird. Zum anderen werden aber vor allem die engen Bezüge zwischen Malerei und Plastik in zahlreichen Beispielen anschaulich gemacht.

Einen weiteren Seitenblick – in die Kunstgattung Architektur – bietet ein imposantes Modell vom Treppenhaus der Biblioteca Laurenziana Michelangelos, das den Besucher im zweiten Teil der Ausstellung in Empfang nimmt.
Ein besonders reizvolles Kunstwerk stellt indes eine Tapisserie dar, die auf einem Entwurf von Bronzino basiert. Dieser wertvolle Bildteppich wurde im Jahr 1545 von Jan Rost als Probestück angefertigt, da Herzog Cosimo I. beabsichtigte, eine Manufaktur in Florenz einzurichten und dafür den Brüsseler Meisterweber zu berufen. Es handelt sich um einen Wandbehang für eine Tür – „portiere“ genannt – und zeigt tatsächlich den Ausblick durch eine Portalanlage auf eine weite Landschaft mit aufgehender Sonne am Horizont, durch die eine Personifikation des Frühlings schreitet.

Insbesondere hervorzuheben ist die große Zahl an qualitätvollen Zeichnungen, wobei besonders Jacopo Pontormo als Virtuose auffällt. So kann nur empfohlen werden, einige Zeit vor diesen Werken zu verweilen und sich ihrer künstlerischen Finesse bewusst zu werden. Dies sind nur einige Beispiele für viele weitere Werke in dieser Ausstellung, die so außergewöhnlich und artifiziell sind, dass sie dem Betrachter höchsten Genuss für Auge und Geist bereiten. Sie laden dazu ein, sich neben dem „Verstehenwollen“ vor allem an der puren Schönheit der Kunst zu erfreuen.

Eine gewisse Portion an Aufmerksamkeit sollte sich der Besucher jedoch für den letzten Saal aufsparen, der an den Wänden die Tagebucheinträge von Jacopo Pontormo zeigt, die der Maler während seiner Arbeit im Chor von San Lorenzo in Florenz verfasste. Es handelt sich um eine einzigartige Quelle, die vor Augen führt, dass die Künstler der Renaissance, die uns heute als Heroen der Kunst erscheinen, mit sehr alltäglichen Problemen zu kämpfen hatten. So sorgt Pontormo unfreiwillig für ein leises Schmunzeln zum Schluss dieser einzigartigen und höchst sehenswerten Ausstellung.
Tipp: Es empfiehlt sich, das professionelle Serviceangebot des Städel Museums für einen Besuch der Ausstellung in Anspruch zu nehmen. Tickets können online auf der Homepage des Museums www.staedelmuseum.de gebucht werden, was insbesondere an Wochenenden längere Wartezeiten erspart.

Dort kann man sich zudem mittels eines „Digitorials“und eines Filmes auf die Ausstellung vorbereiten. In gedruckter Form liegen ein Begleitheft sowie der umfangreiche Ausstellungskatalog vor, die im Museum erhältlich sind.