„Auf der Suche nach der Verbindung von Kunst und Leben“

1986

„Mit meiner doppelten Nationalität und doppelten Erziehung, wo war mein Zuhause? Wo meine Neigung? Wo meine Identität? Japan oder Amerika, eines, beide- oder die Welt?“
-Isamu Noguchi, A Sculptures World, 1968-
Bei einem präziseren Blick in die Vita des japanischen Bildhauers wird eines ganz schnell deutlich: Isamu Noguchi (1904-1988) war ein Internationalist. Als Assistent von Constantin Brâncuși arbeitete er in Paris und studierte traditionelle Tuschmalerei in Peking sowie traditionelle Keramikkunst in Kyoto. Und mit seinem ersten öffentlichen Kunstprojekt History Mexiko (1936) bereicherte Noguchi den Abelardo L. Rodríguez Markt in Mexiko City für ein damaliges Honorar von 88 Dollar. Genau so vielfältig wie seine verschiedenen Lebensstationen war auch sein Repertoire, denn neben Skulpturen entwarf er ebenfalls Bühnenbilder, Möbel, Interieurs, Leuchten, Gärten und öffentliche Plätze. Das Museum Ludwig widmet Isamu Noguchi nach über zwei Jahrzenten die erste Retrospektive in Europa, welche mit insgesamt 150 Exemplaren den vielschichtigen Charakter von Noguchis Kunstwerken aufzeigt. Spielerisch, leicht und experimentierfreudig auf der einen Seite und politisch, schmerzhaft sowie ernst auf der anderen.
Er hat sich wie in einem Netzwerk unterschiedlichster Ideen, auch politischer Ideen, unternehmerischer Ideen, künstlerischer Ideen bewegt, fast wie eine Spinne im Netz
- Kuratorin der Ausstellung sowie stellvertretende Direktorin des Museum Ludwig, Rita Kersting-
Die Ausstellung beginnt mit einer Reihe von Portraits: eine Bronzemaske aus 1926, welche dem Tänzer Michio Itō gewidmet ist. Itō war es, der damals in New York den Künstler davon überzeugte, seinen Namen von Sam Gilmour wieder auf Isamu Noguchi zu ändern. Des Weiteren ist ein Portrait von Yoshiko „Shirley“ Yamaguchi zu sehen, das den Titel Mrs. White trägt und 1952 entstanden ist. Noguchi und Yamaguchi waren in den 1950ern für 5 Jahre liiert. Besonders erwähnenswert ist hierbei, dass dieses Exemplar aus Shigaraki-Keramik besteht. Aus dem Jahr 1933, aus Holz gefertigt, ist sein selten gezeigtes Selbstportrait mit blauen Augen Boy looking Through Legs (Morning Exercises). Ebenfalls aus einem traditionellen japanischen Material, Terrakotta, ist das Portrait von seinem Onkel mit dem Titel Uncle Takagi, welches 1931 entstanden ist. Aber auch Portraits von der Journalistin Suzanne Ziegler, dem mexikanischen Maler José Clemente Orozco oder der Schriftstellerin Tara Pandit sind zu sehen. Zwischen all diesen Portraits befindet sich ein einzelnes, braunes Bakelit-Babyfon aus dem Jahre 1937 mit dem Titel Radio Nurse. An diesem Objekt können die Besucher erstmals in der Ausstellung die Vorgehensweise Noguchis bei seinen Designs betrachten: die Form erinnert an traditionelle, japanische Kendo Masken und gleichzeitig an die amerikanischen „Machine Age“ Skulpturen der 1930er Jahre. Tradition trifft auf Moderne.
Begleitet werden die Portraits unter anderem vom Objekt Spider Dress, welches der Künstler 1946 für die Avantgarde- Tänzerin Martha Graham entworfen hat. In mehr als fünfzig Jahren erschuf Noguchi zwanzig Bühnenbilder für Graham. Das Bühnenbild zu Hérodiade, welches aus einem Spiegel, einem Stuhl und einem Kleiderständer besteht, ist ebenfalls in der Ausstellung zu sehen. Neben Graham kooperierte der Künstler mit den Tänzern Merce Cunningham, Erick Hawkins sowie dem britischen Schauspieler John Gielgud. Für Noguchi bedeutete Tanz die Symbiose von Alltag und Kunst.Das Herzstück der Ausstellung stellen Noguchis surrealistische Skulpturen der 1940er Jahre dar. Die Titel weisen oft kulturelle oder politische Bezüge auf und erinnern an menschliche Knochen, weil sie auseinandergenommen und wieder zusammengefügt werden können. Humpty Dumpty aus dem Jahr 1946 bezieht sich auf den englischen Kinderreim über eine zerbrochene Figur, die nicht mehr repariert werden kann. Und auch Gregory (1945) ist ein Verweis auf die Hauptfigur des Gregor in Franz Kafkas Erzählung Die Verwandlung (1915), in welcher er eines Tages als Ungeziefer aufwacht. Aus demselben Jahr stammt auch Trinity. Dies war die Bezeichnung für die weltweit ersten Atombombentests, die im Juli 1945 in der Wüste von New Mexico, USA stattfanden. Zwischen den Skulpturen befinden sich mehrere Design-Objekte wie das berühmte Coffee Table (1944/45) sowie seine Akari Light Sculptures, die aus japanischem Washi-Papier und Bambus hergestellt und mit elektrischem Licht versehen worden sind. Dieses ikonische Design wurde sogar von IKEA für ihre VÄTE- Series wieder aufgegriffen.
„Wenn ein Künstler aufhört ein Kind zu sein, dann hört er auf, ein Künstler zu sein“
Gemäß diesem Motto entwarf Noguchi überall auf der Welt Environments, Parks sowie Spielplätze, von denen einige in der Ausstellung zu sehen sind. Das Slide Mantra (1936) in Venedig, der Piedmont Park (1975-76) in Atlanta oder aber der Moerenuma Park (1985-2005) in Sapporo können in Fotos sowie Filmauszügen betrachtet werden. Und auch die kleinen Besucher können sich an der Play Sculpture erfreuen und kommen voll auf ihre Kosten. Häufig in Zusammenarbeit mit R. Buckminster Fuller entwirft Isamu Noguchi später geometrische Formen als Module für Parks und öffentliche Plätze.
Im letzten Ausstellungsraum ist Sculpture To Be seen From Mars/Memorial to man (1947) zu sehen und zeigt ein gigantisches Gesicht auf der Erdoberfläche. Dabei wurde die Arbeit zwei Jahre nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki konzipiert, jedoch nie realisiert. Geplant war die Skulptur als Mahnmal, welches die Auslöschung der menschlichen Spezies durch Atombomben überdauern sollte. Interessant ist hierbei, dass es für eine außerirdische Perspektive gedacht war, von welcher man auf die Erde schaut. Und wo auf dieser Erde war nun Noguchis zuhause? War es Japan? War es Amerika? Oder war es am Ende doch die ganze Welt?
Die Isamu Noguchi Ausstellung kann noch bis zum 31.7.2022 bestaunt werden und wurde vom Museum Ludwig in Köln, dem Zentrum Paul Klee in Bern und dem Barbican in London kuratiert und zusammen mit dem LaM – Lille Métropole Musée d’art moderne, d’art contemporain et d’art brut organisiert.