Der Umgang mit der Natur nahm in der Konzeption der Ausstellung einen wichtigen Stellenwert ein, denn beide Künstler bezogen sich explizit auf diese. Wie aber ist dieser Bezug zu verstehen? Rodin und Arp wurden als Erneuerer der Bildhauerei dargestellt. Ist dies dem Umgang mit der Natur entgegengesetzt? Peter Bürger schreibt in der „Theorie der Avantgarde“: „Doch die Kunst (bleibt) weiterhin am Prinzip der imitatio naturae ausgerichtet“
5 und meint damit, dass in diesem Prinzip noch ein normativ-hegemoniales Stilgebot die künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten im 19. Jahrhundert einschränkte. Allerdings: Es ist nicht die Natur, die sich bei den beiden Künstlern die Kunst aneignet, sondern es ist die Kunst, die sich die Natur als Kunstmittel aneignet und somit die gestalterische Freiheit des Künstlers erhöht. Besonders Arp nutzte die Natur als Inspiration für sein künstlerisches Schaffen. Beim Betrachten erschließt sich mehr und mehr die Analogie zum organischen Wachsen der Natur.
Für Bürger ist die Erkenntnis der Kunstmittel als Kunstmittel das zentrale Verdienst der Avantgardebewegung. Indem sich Künstler einem vorherrschenden epochalen Stil widersetzen, schaffen sie die Freiheit zur Nutzung verschiedener Kunstmittel, welche eben diese als solche erscheinen lässt: Als Mittel zur Schaffung von Kunst.
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Ohne ihn direkt als Avantgardist zu bezeichnen, fällt bei der Analyse von Rodins Werkschaffen auf, wie vielfältig und frei sein Umgang mit Stilen und Kunstmitteln ist. Rodin ist Gotiker, Verehrer Michelangelos, Symbolist, Expressionist, Impressionist, er ließ sich vom französischen Spätbarock Carpeaux´ und in manchen Teilen vom Klassizismus beeinflussen. Diesen Stilen ordnete er sich aber keineswegs unter, sondern interpretierte sie um und schaffte es, eine Vielzahl von Einflüssen in seinem Opus Magnum, im Höllentor, zu synthetisieren. Viele der in der Ausstellung Rodin/Arp gezeigten Figuren Rodins wurden ursprünglich als Teile des Höllentors konzipiert, aber sie entfalten auch zweifelsohne für sich eine starke Wirkung.
Die Verbindung verschiedenster Stilelemente lässt Rodin gegenüber seinen Zeitgenossen hervorstechen. Es ist kein Zufall, dass er von Anfang an in den legitimen, also gesellschaftlich anerkannten Institutionen des Kunstfeldes keinen Erfolg hatte. Sowohl mit dem Salonsystem, als auch mit der Akademie konnte er Zeit seines Lebens nie wirklich zusammenfinden. Zum Wendepunkt in seiner Karriere wurde die Weltausstellung im Jahr 1900 in Paris: Offiziell wurde ihm ein Platz auf dieser verwehrt. Stattdessen eröffnete er einen eigenen Ausstellungsraum, der sogleich ein riesiger Erfolg wurde.
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Rodin betrieb Institutionskritik. Dies zwar anders als die Dadaisten um Arp; er stellte keine Prinzipien einer neuen Kunst auf und richtete sich nicht explizit in seinen Werken gegen die Institutionen der Kunst. Aber dennoch: Unweigerlich stellt die Wahl seiner Kunstmittel, die Art ihrer Präsentation und Zusammenstellung eine implizite Anklage gegen die etablierten Regeln der Kunstinstitutionen dar – aus denen er sich zu befreien suchte und wusste.
Wie stark diese Impulse der Erneuerung waren, die vom Schaffen Rodins ausgingen, zeigte sich in der Ausstellung überdeutlich. Schon die Gegenüberstellung mit Arp, der eine völlig neue Bildhauerei betrieb, verdeutlicht die Innovation, die seinen Skulpturen inne liegt. Die Betonung der erneuernden Intensität der Werke Rodins soll jedoch keineswegs den Eindruck erwecken, dass diese Intensität Arp fehlen würde bzw. dass die Ausstellung verpasst hätte, sie darzustellen. Diese Aspekte der Innovation im Arp‘schen Œuvre scheinen nur allzu deutlich, so dass es fast sinnvoller erscheint, die Kontinuität hervorzuheben. Es sei allerdings dennoch darauf hingewiesen, dass die Anstöße, die Arp von Rodin aufnahm, ebenfalls von ihm frei interpretiert wurden und in eine ganz eigene Formsprache inkorporiert wurden. Als ein Beispiel dafür kann man das Weglassen von Extremitäten anführen. Mit den zurückgebliebenen Rümpfen ging Arp ganz anders um, als Rodin. Er rundete sie ab und fügte sie geschmeidiger in die Gesamtskulptur ein, während sie bei Rodin ganz bewusst präsentiert werden.
Die Kuratorin Astrid von Asten und der Kurator Raphaël Bouvier ließen beiden Künstlern ihren nötigen Raum, damit sich die Werke entfalten konnten, aber dennoch Bezüge zwischen diesen bestanden. Begünstigt wurde dies, dass jedes Werk räumlich und perspektivisch sowohl für sich stand, als auch, je nach Perspektive, im Bezug zu einem anderen stand. Die Bezüge und Vergleiche präsentierten sich dadurch als Vorschläge und zwangen sich den Betrachtenden nicht auf. Man konnte für sich entscheiden, auf welche Weise und aus welcher Perspektive das Werk angeschaut wurde, denn eine eindeutige Schauseite wurde nicht suggeriert – sicherlich ganz im Sinne beider Künstler, die es auch nicht vorschrieben. Die hellen, ruhigen und offenen Räume des Museums waren für diesen Zweck eine geeignete Präsentationsfläche. Zudem gelang es ihnen aber auch, einen Kontrast zu den aus dunkler Bronze gefertigten, leidvoll emotional-ekstatischen Skulpturen Rodins zu bilden und diese dadurch in ihrer Wirkung gleichzeitig hervorzuheben. Die, die Werke auf sich belassende, räumliche Anordnung, konnte zwar diese Vorteile miteinander verbinden, verfehlte dadurch jedoch eine größere Komposition der Werke Rodins, die wohl in einer aufeinander verweisenden Zusammenstellung eine größere Wirkung hätten entfalten können. Für eine solche Präsentation wäre eine so konzipierte Ausstellung wohl allerdings der falsche Ort.
Durch die Ausstellung wurde man mit begleitenden Texten geführt, die sich besonders darauf konzentrierten, die Gemeinsamkeiten der beiden Künstler hervorzuheben. Aber auch ohne diese Verdeutlichung des ohnehin Dargestellten schaffte es die Ausstellung zu halten, was sie versprach und somit zwei höchst unterschiedliche Künstler miteinander zu vergleichen, ihre Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede und den Zusammenhang von Innovation und Kontinuität zu präsentieren.