2 Eine Plattform für mehr Diversität
Wie man vorher in der kurzen Auseinandersetzung mit Identitäten sehen konnte, ordnet sich ein jeder von uns unterschiedlichen Feldern, wie sie der Soziologe Pierre Bourdieu nennt, zu. Diese Felder beziehen sich jedoch nicht nur auf Aspekte, die uns als Individuen betreffen, sondern auch auf die Kunst, Ökonomie, Religion etc. So gibt es beispielsweise auch das Kunstfeld, welches dann alles von Kunstinteressierten über Mitarbeiter:innen ei-ner Galerie bis hin zu den Institutionen selbst mit einbegreift. Wenn man sich einem Feld zuordnet, dann regle dieses unter anderem die Verhaltensweisen und Vorstellungen aller Akteur:innen. Gleichzeitig biete das Feld seinen Akteur:innen aber auch die Verwirklichung von Wünschen. Bourdieu sowie die Künstlerin Andrea Fraser sind der Meinung, dass das gesamte Kunstfeld und seine Akteur:innen den Wert eines Kunstwerks mitbestimmen. Ihnen zufolge existiere Kunst als ein Objekt mit Wert nur dann, wenn es als Kunstwerk an-erkannt und auch als solches konsumiert wird.
3 Das heißt, dass jede:r Akteur:in der Institution Kunst, egal ob Kurator:in oder Besucher:in, die Möglichkeit hat auf das, was in den zahlreichen Kunstinstitutionen ausgestellt wird, ein-zuwirken. Jeder von uns kann mitbestimmen, welche Dinge diskutiert werden. Andrea Fraser geht sogar so weit zu behaupten, dass wir alle die Institution sind, sie ist ein Teil von uns.
4 Das bedeutet zugleich auch, dass wir nicht nur die Möglichkeit haben mitzubestimmen, sondern sogar Verantwortung für das tragen, was im Feld der Kunst ausgestellt und thema-tisiert wird. Aus diesem Grund liege es somit auch an uns, welche Werte institutionalisiert werden.
Außerdem, so Fraser, kann man als Akteur:in des Kunstfelds dieses nie verlassen. Alles was man machen kann, ist, dessen Rahmen zu erweitern, indem man mehr Aspekte von der Welt, also von dem, was außerhalb liegt, in das Feld hereinholt.
5 Durch die Ausstellung hat sich das Ludwig Forum dazu entschieden, dem Themenkomplex Identitäten und allen dazugehörigen Aspekten und Problemen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die ausgestellten Werke repräsentierten ein breites Spektrum an künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema. So wurde auch die Komplexität desselben deutlich. Um nur ein Beispiel zu nennen: Allein im Bereich Kultur waren zwei Werke ausgestellt, die unterschiedlicher nicht sein konnten. María Magdalena Campos-Pons hinterfragt in ihrem Werk
Alternativen für den Mythos: Leda denkt (1989) die oftmals verherrlichenden mytholo-gischen Darstellungen in der Kunstgeschichte. Melike Karas Werk
mother of mother of mother (2021) hingegen thematisiert die Bräuche und Traditionen, die ihre Großmutter als Ehefrau eines Schamanen in ihre Familie gebracht hat, welche Karas Verständnis über ihre eigene Identität stark geprägt haben. Die Ausstellung lieferte somit einen möglichen An-satz, um den Rahmen des Kunstfelds noch weiter auszudehnen und die Institution Kunst immer diverser zu gestalten.
Auch wenn in Sweet Lies viele Perspektiven unterschiedlichster Menschen repräsentiert waren, stellt sich die Frage, wie viel das allein bewirkt. Es handelte sich wohl eher um eine, wie die Künstlerin Hito Steyerl es bezeichnete, „symbolische Integration“
6 und Repräsentation von beispielsweise Minderheiten. Doch was ist mit politischen und sozi-alen Ungleichheiten? Solche Probleme werden sich nicht bessern, nur weil Institutionen sich dazu entscheiden, die Aufmerksamkeit des Publikums auf ein bestimmtes Thema zu lenken. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass es solche Ausstellungen gibt und dass wir als Besu-cher:innen diese besuchen. Auch wenn die Präsentation eher oberflächlich stattfindet, hilft es dabei ein Bewusstsein für Derartiges zu schaffen, damit sich diese Problematik zumin-dest nach und nach einen Weg in das Blickfeld der Gesellschaft bahnt.
Zuletzt sei zu sagen, dass das Ludwig Forum durch die Präsentation eines Werks von Chuck Close einen großen Teil der Kunstwelt kritisierte, sich selbst aber auch in eine an-greifbare Position brachte. Viele Kunstinstitutionen schrecken nämlich davor zurück Close auszustellen, nachdem im Jahr 2017 Vorwürfe gegen den Künstler wegen sexuellen Fehl-verhaltens laut wurden und er seitdem als eine umstrittene Persönlichkeit gilt.
7 In dem Blog zur Ausstellung des Ludwig Forums wurde die Frage in den Raum gestellt, was die Kunstwelt mit einer solchen Form der Selbstzensur erreichen möchte. Direkt danach machte das Ludwig Forum ihre Meinung zu dieser Zensur deutlich: