Das beeindruckteste Themenfeld der Ausstellung widmet sich der Genese der Madonnendarstellungen unter der Überschrift
Begegnung von Himmel und Erde: Maria. Anhand von hochwertigen Plastiken lässt sich in ihr der Mythos des rückständigen Mittelalters formidabel widerlegen. Statuen der Mutter Gottes kamen in der christlichen Kunst erst relativ spät auf, wurde doch eine Verwechselungen mit heidnischen Göttern der Antike gefürchtet. Der Kanon erster Madonnen-Darstellungen ist daher ein strenger: Steifer Körper plus inhaltsloses Gesicht ohne jegliche Emotionalität. Erst Anfang des 14. Jahrhunderts setzt eine Entwicklung ein, welche die Menschlichkeit Marias berücksichtigte. Fortan orientierten sich kölnische Bildhauer an Büsten der Hl. Ursula, in denen sie trotz ihres Martyriums ihren Bewunderern stets lächelnd präsentiert wurde.
Ein weiteres Beispiel für die Dynamik des Mittelalters ist die
Madonna vom Tongerschen Haus (>1310). Anfangs fälschlich in Köln verortet, steht dieses gut erhaltene Exemplar lothringischer Bildhauerkunst mit seinem S-förmigen Körperbau, dem lockerem Standbein sowie den Schüsselfalten für eine neue Form der Marienfrömmigkeit, die auch im Rheinland Einzug halten sollte: Eine abweisende Körperhaltung gegenüber den Gläubigen wich auffordernder Interaktion mit Mutter und Kind. Der Geschmack der Menschen wandelte sich stetig. Das Mittelalter ist mit Nichten das finstere, unmündige Zeitalter zwischen kulturellen Glanz von Antike und früher Neuzeit. Auch auf literarischer Ebene entstanden Glanzleistungen, wie etwa der phantasievolle französische Reisebericht des Jean de Mandelville (1357-71), der diesen Abschnitt didaktisch abrundet.