Es bedurfte Kraft und Tatendrang, um eine steingewordene Mauer am 9. November 1989 einzureißen. Noch viel mehr Sorgfalt ist allerdings von Nöten, um eine solche auch in den Köpfen und Herzen der Menschen dauerhaft verschwinden zu lassen.
Mit der kleinen Sonderausstellung Ab morgen Kameraden! Armee der Einheit zeigt das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn noch bis zum 12. Februar 2017, mit welcher heiklen Faktenlage sich 1989/90 das politische, gesellschaftliche und kulturelle Establishment des sich wiedervereinenden Deutschlands konfrontiert sah - innerhalb von kürzester Zeit - eine bundesrepublikanische „Einheitsarmee“ auf Basis einer freiheitlich demokratischen Grundordnung zu formen.
Hassgefühle, immenses Misstrauen und Verachtung für den "Systemfeind", gefestigt durch jahrzehntelange ideologische Indoktrination auf beiden Seiten, ließen sich nicht einfach so wegwischen. Für die Aufstellung eines gemeinsamen militärischen Wertekanons benötigte es diplomatisches Geschick, eine gehörige Portion an Kompromissbereitschaft und letzten Endes eine fragile Vertrauensbasis der handelnden Akteure. Um schließlich doch zusammenführen zu können, was eigentlich so gar nicht zusammen passte: Die „Staatsbürger in Uniform“ der Bundeswehr (BW) und die „Klassenbrüder“ der Nationalen Volksarmee (NVA).
Der Graben war zwischen „West“ und „Ost“ im Kalten Krieg (1947-1991) tief. Noch tiefer als heute. Das Territorium des geteilten Deutschlands im Herzen Europas war Schauplatz eines befremdlichen Stellvertreterkonfliktes zweier ideologisch verfeindeter Supermächte. Der hochgerüsteten – den westlichen Kapitalismus heroisch verteidigenden – US-Armee als Teil der NATO auf Seiten der Bonner Republik stand ein ihr, an konventioneller Kraft weit überlegendes sowjetisch-sozialistisches, Pendant in Gestalt der roten Armee – als Mitglied des Warschauer Paktes - an der innerdeutschen Grenze säbelrasselnd gegenüber. Zwei Atommächte im Disput miteinander.
Ein welthistorisches Großereignis auf deutschem Boden, mit dem die gesamte Ausstellungsfläche des Haus der Geschichte locker gefüllt werden könnte. Um dem konkreten Titel der Sonderausstellung nachzukommen und die spezifischen Herausforderungen bei der Bildung einer „Einheitsarmee“ aufzuzeigen, spricht der Wandtext anfangs richtigerweise von einem vermeintlichen Bruderduell der Deutschen („Deutsche gegen Deutsche“). Dem Besucher wird hier Weitsicht und Reflexionsvermögen angesichts der Einordnung dieses innerdeutschen Konfliktes in das große Ganze des Kalten Krieges zugetraut. Sowohl die BW als auch die NVA waren relativ kleine Rädchen in dieser gewaltigen geopolitischen Maschinerie. Beide wären lediglich das erste Kanonenfutter gewesen, wäre es tatsächlich zu einem atomaren Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion gekommen. Von dem „Deutschland“, welches wir heute kennen, wäre nicht mehr viel übrig geblieben. Will heißen: Die Deutschen waren auf beiden Seiten der Grenze nicht Herr ihres eigenen Schicksals. Dieser Tatsache waren sie sich durchaus bewusst.
Die Ausstellung selbst ist strikt chronologisch angelegt. Der Besucher wird visuell mit auf dem Boden geschriebenen Zeitangaben „an die Hand genommen“ und raffiniert durch die verschiedenen Zeitabschnitte geführt. Gleich zu Anfang wird strukturiert und nachvollziehbar in farblich voneinander getrennten Korridoren Geschichte, Struktur, Propaganda und die allgemein konträre Deutung des Zeitgeistes beider deutscher Streitkräfte gegeneinander gesetzt. Vor allem die Zeitzeugenberichte sind höchst informativ, emotional geladen und lassen Einblicke in den seelischen Gemütszustand beider Seiten zu.
Ein tiefes Blau, als gemeinhin mit der westlichen Werteallianz assoziierte Farbe, sowie ein tiefes Rot für die Verteidiger des kommunistischen Bollwerks im Osten lassen beim Besucher keinerlei Verwirrung aufkommen. Im weiteren Verlauf erzählt das „typische“ Bundeswehr-Blau die Geschichte jener neuen „Einheitsarmee“ von der Wiedervereinigung bis in die Gegenwart. Die Ausstellung schließt in grünen Farben zum aktuellen Zustand der Bundeswehr im In- und Ausland.
Die Ausstellung bietet neben einem raschen, historisch gebündelten Überblick interessante Anhaltspunkte über Vorurteile und Ängste (FAZ-Leserbriefe) in der Bevölkerung ob der Perspektive einer als trotz ihrem Namen als fremd empfundenen „Einheitsarmee“; ferner werden die Mühen führender nationaler und internationaler Politiker Kompromisse in staats- und völkerrechtliche Normen (u.a. Einigungsvertrag und 2+4 Vertrag) zu pressen subtil veranschaulicht. Ein versöhnlicher Blick auf eine schlussendlich doch als Erfolgsgeschichte - abseits von Farbbeutelattacken auf frühere Außenminister - zu beschreibende jüngere Vergangenheit der „Einheitsarmee“ im Schoss der Vereinten Nationen sowie der NATO lässt den Besucher die Ausstellung mit einem positiven Gefühl verlassen.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 12. Februar 2017. Der Eintritt ins Haus der Geschichte ist wie immer frei!