2024 jährt sich die erste impressionistische Gruppenausstellung in Paris zum 150. Mal. Diese erste Ausstellung, die bis heute mit der Geburt des Impressionismus gleichgesetzt wird, war eine von der geschmacksbildenden Pariser Académie des Beaux-Arts losgelöste Schau. Hier setzt die Ausstellung „1863 Paris 1874: Revolution in der Kunst“ im Wallraf-Richartz-Museum an und exploriert die Entstehung des Impressionismus, ausgehend von der Pariser Salonmalerei und den Parallelausstellungen im Salon des refusés ab 1863.
Die Ausstellung stimmt mit dem Werk Flucht vor der Kritik von Pere Borell del Caso (1835–1910) aus dem Jahr 1874 ein. Ein Junge scheint aus dem Rahmen eines Gemäldes hinauszuklettern, das rechte Bein bereits an der unteren Rahmenleiste abgestützt, blickt dieser mit weit aufgerissenen Augen um sich. Die Szene mutet surrealistisch an; der Junge, aus dem Dunkel des Gemäldes ausbrechend, wirkt fast so erstaunt von seiner gegenwärtigen Situation wie wohl viele dem Werk gegenüberstehende Betrachtende. Dieses illusionistische Gemälde oder Trompe-l’œil repräsentiert den Widerstand und späteren Bruch vieler Pariser Künstler/-innen mit den akademischen Konventionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
1863: Offizieller Salon und Salon des refusés
Der offizielle Salon der Académie des Beaux-Arts fand seit dem 17. Jahrhundert jährlich statt. Dieser prägte maßgeblich den vorherrschenden Kunstgeschmack sowie den Erfolg der daran teilnehmenden und nicht teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen, da Kunstwerke im Voraus bei der Salonjury eingereicht werden mussten. Wie in der Ausstellung zu erfahren ist, wurde diese Jury vom Kaiserhaus und der Akademie beauftragt. Es war somit allen voran Kaiser Napoleon III. (1808–1873), der die Kunstszene als politisches Instrument lenkte. 1863 führte er, aufgrund zunehmender Kritik, den Salon des refusés ein, sodass auch die abgelehnten Kunstwerke unter Zustimmung der entsprechenden Künstler/-innen ausgestellt werden konnten und sich Ausstellungsbesuchende eine eigene Meinung bilden konnten – eine zukunftsweisende Entscheidung für den Verlauf der Kunstgeschichte.
Die Kölner Ausstellung ist nicht durchgehend chronologisch geordnet und vereint Kunstwerke, die zu ihrer Entstehungszeit im offiziellen Salon gezeigt, von diesem abgelehnt, oder im Salon d’indépendants ausgestellt wurden. Es werden die Entwicklung der Malerei im Salon sowie parallellaufende künstlerische Tendenzen nachgezeichnet. So wird in den ersten Sälen der Ausstellung thematisiert, was künstlerisch den Anforderungen im offiziellen Salon entsprach: Historiengemälde mit historischen, biblischen oder mythologischen Motiven dominieren, gefolgt von Landschaftsmalereien und Porträts; die Malweise dieser Arbeiten ist sehr fein, kein Pinselstrich sticht hervor, die Darstellungsart ist detailgetreu und naturalistisch. Aktmalerei war nur im Rahmen der Historienmalerei möglich, musste also durch ein entsprechendes Thema gerechtfertigt werden. Ein exemplarisches Beispiel hierfür: Alexandre Cabanels (1823–1889) Geburt der Venus. Nicht nur das Thema, sondern auch die detailreiche, naturalistisch-idealisierte und präzise technische Ausarbeitung erfüllten die akademischen Konventionen.
Ambivalenzen
Die Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum demonstriert, dass die Entwicklung neuer Stilrichtungen selten linear verläuft. Unterschiedliche künstlerische Ansätze existieren nebeneinander, oft sogar innerhalb eines einzigen Œuvres. Dies wird anhand eines Gruppenporträts von Henri Fantin-Latour (1836–1904) versinnbildlicht: obwohl es Édouard Manet (1832–1883) sowie spätere Vertreter des Impressionismus wie Claude Monet (1840–1926) abbildet, folgt es malerisch noch überwiegend den Traditionen des Salons. Wie in der Ausstellung reflektiert wird, prägten soziale und politische Umbrüche das Paris der 1860er und 1870er Jahre und damit einhergehend auch die Bildmotive inner- und außerhalb der Salons. Neben der Belagerung von Paris 1870/1871 gehört auch die Umgestaltung der Stadt durch Georges-Eugène Haussmann (1809–1891) dazu, die zur Entstehung der Bohème beitrug.
Besuchende der Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum werden im größten Saal dazu aufgefordert, in die Rolle eines historischen Salonbesuchenden hineinzuschlüpfen: neben Kunstwerken, die vom offiziellen Salon zurückgewiesen wurden (und innerhalb der Ausstellung sichtbar mit einem roten „R“ gekennzeichnet sind), werden auch Werke, die im Salon angenommen wurden, präsentiert. Unter diesen akzeptierten Werken befinden sich auch Namen jener, die später als Vertreter und Vertreterinnen des Impressionismus gelten sollten, wie Berthe Morisot (1841–1895) oder Auguste Renoir (1841–1919). Das monumentalste Werk in diesem Ausstellungsraum: Claude Monets Frauen im Garten, welches 1867 zurückgewiesen wurde. Das über 2 x 2 Meter große Ölgemälde gibt eine sich an einem Frühlings- oder Sommertag abspielende Szene in einem Garten wieder. Das Motiv des Alltags spielt eine untergeordnete Rolle, vielmehr steht das Licht- und Schattenspiel sowie die Farbmodellierung im Mittelpunkt von Monets Interesse. An diesem Werk ist zu erkennen, dass die Naturnachahmung zunehmend zugunsten formaler künstlerischer Aspekte, insbesondere der Farbe und dem sichtbaren Pinselduktus, in den Hintergrund rückt. Eine Entwicklung, die sich später in der modernen Kunst weiter entfaltet.
1874: Salon d’indépendants
Das Finale der Ausstellung widmet sich dem Salon d’indépendants. 1874 schlossen sich eine Gruppe von Künstlern und Künstlerinnen zusammen, die es wagten, sich der Salonpolitik zu widersetzen und ihre Kunstwerke nach eigenem Ermessen auszustellen, abseits des offiziellen Salons und Salon des refusés. Es werden jedoch nicht ausschließlich Exponate gezeigt, die in den unabhängigen Ausstellungen über die zwölf Jahre des Bestehens hinweg ausgestellt wurden. Vielmehr wird ein Einblick in die Kunst des Impressionismus gegeben, mit Arbeiten von Claude Monet, Alfred Sisley (1839–1899), Camille Pissarro (1830–1903) und vielen weiteren. Ein Großteil der ausgestellten Gemälde wurde im Freien gemalt, die Natur und die Landschaft, samt sich wechselnden Licht- und Witterungsverhältnissen, sind Bildgegenstand. Die Pleinairmalerei zeichnet sich meist durch eine freie Pinselführung und einen skizzenhaften Charakter aus, betont dadurch die ästhetische Qualität der Farbe als malerisches Mittel. Die zeitgenössische Kritik an den ausgestellten Werken bemängelte insbesondere die daraus resultierende Wirkung einer malerisch-technischen Unfertigkeit. Es ist genau dies, was 150 Jahre später noch immer am Impressionismus geschätzt wird: die Flüchtigkeit des Dargestellten, das Momenthafte, das Einfangen des Schönen im Alltäglichen.
„1863 Paris 1874: Revolution in der Kunst“ ist noch bis zum 28. Juli 2024 im Wallraf-Richartz-Museum in Köln zu sehen.