„Goodbye, Skulptur Projekte Münster 2017“ _ Teil 2

Was 1974 aus der öffentlichen Diskussion um den Ankauf einer kinetischen Skulptur von George Ricky in Münster entbrannte, ist heute fraglos ein zentrales Ereignis der westdeutschen Kulturlandschaft geworden – doch wie wirken die Skulptur Projekte auch auf die Generation, welche diese erstmalig bewusst wahrnimmt?
Einige Arbeiten vergangener Ausgaben der Skulptur Projekte sind heute fester Bestandteil des Münsteraner Stadtbildes wie beispielsweise die Drei Irrlichter (1987) in den Käfigen der Lambertikirche von Lothar Baumgarten, die Toilette am Domplatz (2007) von Hans-Peter Feldmann oder die Bushaltestelle am Freiherr-von-Stein Gymnasium (1997) von Per Kirkeby. Viele ehemalige SchülerInnen des Gymnasiums sind sich erst jetzt bewusst geworden, dass sie tagtäglich an einer Skulptur von Per Kirkeby auf den Bus nach Hause warteten. In diesem Falle ist es ein gelungenes Projekt, das nun seit zwanzig Jahren die Gattungsgrenze zwischen Skulptur und zweckgebundener Architektur verschwimmen lässt. Ähnlich, wenn auch zeitbemessener, erscheint die Arbeit OFF-OFD von Christan Odzuck. Sie befindet sich etwa 800 m entfernt vom Stadtzentrum, zwischen Wohnanlagen und Schulen an der Andreas-Hofer-Straße. Auf einer Freifläche verortet, auf der bis 2016 das Gebäude der Oberfinanzdirektion in Münster beheimatet war, ist das architektonische Objekt durch einen Treppenaufgang zu betreten. In einer Sackgasse mündet schließlich der lange Gang, an dessen Ende eine große Laterne emporragt. Odzuck verarbeitet den Abriss des OFD-Gebäudes auf transitorische Weise, indem er aus den verschiedenen Baumaterialien des Gebäudekomplexes eine neue Architektur entwarf. Der Komplex durchlief, verglichen mit seinem Vorgänger, einen simultanen Schaffensprozess und alle klassischen Phasen aktueller Baubürokratie: Genehmigungen waren einzuholen, bei denen die Zustimmung der städtischen Instanzen und Bauämter vorerst einzuholen war. Die Gattungen der Architektur und Skulptur werden in diesem Beitrag zum einen stark verknüpft und zum anderen hinterfragen sie sich gegenseitig: Architektur findet zwangsläufig im öffentlichen Raum statt und ist an eine Funktion und deren zeitliche Existenz gebunden. Die Skulptur hingegen ist ein skulpturales Modell der Architektur und zugleich eine architektonische Skulptur des öffentlichen Raumes.
Das Spiel und die Erweiterung von Gattungsgrenzen bleibt auch im Jahr 2017 eine präsente künstlerische Strategie. Als ungreifbare Installation von Emeka Ogboh ist die Klanginstallation Passage through Moondog unter den Schienen des Münsteraner Hauptbahnhofes im Hamburger Tunnel situiert. Aus 16 Lautsprechern erklingen Musikstücke und Gedichte des aus Amerika stammenden Straßenkünstlers Moondog (1916-1999), der in Münster lebte und dort auch begraben ist. Eine nachempfundene Präsenzsituation, die den Ort in ein vergängliches Bewusstsein versetzt. Die verhallten Klangwellen werden von ihrer materiellen Umgebung aufgenommen und beeinflussen als nicht-visuellen Körper, so auch bei dem Konzept des von Ogboh brauten Bieres Quite Storm. Das Bier wurde während des Gärungsprozesses mit Klangaufnahmen von städtischen Geräuschen aus Lagos beschallt. Auch auf der documenta14 ist Ogbohs konzeptuelle Arbeit mit dem Starkbier Sufferhead vertreten.
Ähnlich transitorische Charaktereigenschaften wie Klangwellen weist das Element Wasser auf. Der Gang über das Wasser lässt eine Fülle an Bezügen zu Religion, Spiritualität und Ritus zu, doch werden diese mit der Installation On Water von Ayse Erkmen von der Öffentlichkeit nur mehr oder minder assoziiert. Umlagert von zahlreichen Cafés und Restaurants, lässt sich die ausgelassene Freizeitstimmung im Münsteraner Hafen nur erschwert mit Erkmens bisherigen Installationen zusammenbringen. Als Beispiel sind die Arbeiten pond to pool to pond (2016) in Nara (Japan) oder der Beitrag auf der Biennale 2011 Plan B „Plan B / Frankfurt am Main“ zu nennen, in denen sie Wasser häufig in einen wirtschaftlich-globalen Kontext setzte, um eine unmittelbare Konfrontation mit dem Ort einzugehen. Hier sind allerdings keine Störmomente erkennbar, ganz im Gegensatz zu ihrer provozierenden Kunstaktion aus dem Jahr 1997, bei der sie Sandsteinskulpturen des LWL-Museums mit einem Hubschrauber über den Domplatz fliegen ließ.

Seit nun vierzig Jahren ist die Zahl der öffentlichen und privaten Investoren, die an dem Projekt beteiligt sind, gestiegen. Die florierende Tourismusbranche konnte mit dem auserkorenen „Sommerevent 2017“ den Radius der anreisenden BesucherInnen zunehmend erweitern. Beachtlich ist schließlich auch, dass einer Umfrage der „Westfälischen Nachrichten“ vom 17.09. zufolge das genüßliche „Gefallen“ einzelner Werke wohl zum aussagekräftigsten Bewertungskriterium der Münsteraner geworden ist. Die erwachsene Skulpturenhochburg Münster lässt im allgemeinen Erscheinungsbild bereits eine starke Beziehung zur Kunst im öffentlichem Raum erkennbar werden, so dass selbst die BesucherInnen der jüngsten Generation ein ausgeprägtes und sensibles Bewusstsein für diese Stadt mitbringen. Es scheint, als ob die Skulpturen Projekte heute gar keine Brücken mehr um die Sensibilität für Skulpturen im öffentlichen Raum schlagen können. Auch das durchweg positive Pressebild zeigt, im Gegensatz zur documenta14, eher ein erlesenes Interesse an den Beiträgen etablierter KünstlerInnen und nicht etwa an der Sensibilisierung für Kunst an sich. Bleibt letztlich die Frage: Sind die Skulptur Projekte nun nach vierzig Jahren in Münster ihrer Motivation gerecht geworden und an ihr „Ziel“ angelangt oder anders gefragt, wäre es klüger sie unter einen neuen Stern zu stellen?

Hier geht's zum Artikel „Skulptur Projekte Münster 2017_Teil 1“.