Skulptur Projekte Münster 2017_Teil 1

Zum fünften Mal laden die im zehnjährigen Turnus stattfindenden Skulptur Projekte Münster in diesem Sommer zu einem Dialog mit ortsspezifischen Kunstwerken ein. Seit 1977 weitet Münsters Kunstschau diesen Dialog von den etablierten institutionellen Pfaden auf den öffentlichen Raum aus.
Diese Erweiterung des Diskursraumes wird etwa durch die Positionierung der Kooperationsarbeit Cosima von Bonins (*1962) und Tom Burrs (*1963) auf dem Vorplatz des LWL Museums für Kunst und Kultur betont. Das gemeinsame Werk Benz Bonin Burr, ein Tieflader mit einer schwarzen Transportbox, erregt zunächst allein deshalb Aufsehen, weil er die Sicht auf die als Leihgabe ebenfalls auf dem Platz positionierte Bronzeskulptur The Archer (1964/65) von Henry Moore (1898-1986) versperrt. Es scheint, als wäre Moores Werk soeben entladen worden oder bereit, verladen zu werden. So verweist von Bonins und Burrs Arbeit auf die Bewegung der Kunst zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit sowie auf den stetigen Wandel des öffentlichen Raumes.
Dass auch Münster seit den ersten Skulptur Projekten vor 40 Jahren einen städtebaulichen Wandel erlebt hat, wird in der Ausstellung Double Check. Michael Ashers Installation Münster (Caravan) '77 '87 '97 '07 im LWL Museum deutlich. Der 2012 verstorbene US-amerikanische Konzeptkünstler Michael Asher (1943-2012) positionierte zu allen vier bisherigen Skulptur Projekten einen alten Anhängerwohnwagen in der Stadt, wobei die insgesamt 19 Stellplätze des Wagens 1977 von Asher festgelegt wurden und wöchentlich wechselten – sofern es sie zehn Jahre später noch gab. Wiederholt musste der Wagen in der Garage bleiben, denn einstige Parkplätze waren durch städtebauliche Veränderungen verschwunden. In einer umfangreichen Archiv-Schau dokumentiert das LWL Museum Ashers Langzeitarbeit und präsentiert zahlreiche Fotografien, Skizzen, Korrespondenzen und Zeitungsausschnitte. Auch der Fotograf Alexander Rischer (*1968) verdeutlicht mit seiner aus neun schwarz-weiß Fotografien bestehenden Serie Münster. 19 Orte, welche die ehemaligen Standorte des Wohnwagens ohne den Wagen selbst zeigen, wie sich das Stadtbild über die Jahrzehnte verändert hat.
Dass auch (kunsthistorische) Begrifflichkeiten einem Wandel unterliegen und stets neu reflektiert werden müssen wird durch die Bandbreite der insgesamt 35 in der Stadt präsentierten Arbeiten vermittelt. So scheint etwa der Beitrag Nicole Eisenmans (*1965) Sketch for a Fountain¹ im Kreuzviertel zunächst einem traditionellen Skulpturbegriff verschrieben: eine Brunnenanlage, bestehend aus einem rechteckigen Wasserbecken, zwei Bronze- und drei Gipsfiguren, die motivisch an Édouard Manets berühmtes Ölgemälde Frühstück im Grünen (1863) erinnert. Wie Manets Ausflugsgesellschaft scheinen Eisenmans bizarre Figuren das müßiggängerische Verweilen in der Natur zu genießen. Mit ihrer grob gestalteten, fast karikaturartigen Figurengruppe bricht Eisenman, eigentlich als Malerin bekannt, mit der wohlgeformten und detailliert ausgearbeiteten traditionellen Brunnenfigur und präsentiert dennoch eine vergleichsweise konventionelle Auffassung von Skulptur. Andere Arbeiten loten die Grenzstellen von Begrifflichkeiten wie Skulptur, skulptural, performativ oder installativ insbesondere in Bezug auf Räume aus, verändern und ermöglichen sie.
So laden etwa Aram Bartholls (*1972) an drei verschiedenen Orten in Münster installierten Werke 12 V, 5 V und 3 V zur Reflexion darüber ein, wie technische und digitale Prozesse in den täglichen Lebensraum eingreifen. Gregor Schneider (*1969) thematisiert mit N. Schmidt Pferdegasse 19, einer Wohnungsinstallation, die über einen Seiteneingang des LWL Museums begangen werden kann, die Grenzen zwischen institutionellem und privatem Raum. Ein Privatraum wird in einem öffentlichen Haus gezeigt und entzieht sich durch seine Abgeschlossenheit dennoch dem Institutionellen. Einen nahezu science-fiction-artigen Raum hat der Künstler Pierre Huyghe (*1962) mit After ALife Ahead in einer ehemaligen Eissporthalle geschaffen: die einstige Eislaufbahn ist einer Mischung aus Betonplateaus, Lehm, Sand und Pfützen gewichen, die an eine unheimliche Kombination aus Mondlandschaft und archäologischer Grabungsstätte erinnert. Auch ist die Halle ein Lebensraum für diverse Tiere, etwa einen Fisch und eine Schnecke in einem zentral platzierten Aquarium. Diese stehen in einem Wechselverhältnis mit einer Reihe nicht sichtbarer Prozesse in der Halle, beispielsweise dem Wachstum von Zellen in einem Inkubator. So eröffnen die Skulptur Projekte 2017 Fragen nach dem Verhältnis von Kunst-, Stadt- und Lebensraum, öffentlichem und privatem Raum, Leerstellen und Grenzen dieser Räume und Begriffe, wo und wodurch sie sich verschieben, verwischen oder ineinanderfließen.

Hier geht's zum Artikel „Skulptur Projekte Münster 2017_Teil 2“.
¹ Eine der Gipsfiguren wurde im Juli beschädigt: http://www.wn.de/Muenster/2925729-Kunst-ohne-Kopf-Angriff-auf-Eisenman-Skulptur-erregt-international-Aufsehen

Skulptur Projekte Münster 10. Juni bis 01. Oktober 2017 www.skulptur-projekte.de