Otto Dix im K20.

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Entweder ich werde berüchtigt – oder berühmt

Er hat beides geschafft.
Der aus Gera in Thüringen stammende Otto Dix (1891–1969) begriff zeitlebens das menschliche Dasein als labil und tiefgründig. Gleich einem Spiegel hielt er seinen Zeitgenossen in zahlreichen Zeichnungen und Bildern schonungslos konkrete gesellschaftliche und soziale Zustände vor. Für diesen harten „Realismus“, der sein gesamtes Œuvre elementar prägen sollte, erfuhr er früh sowohl Anerkennung als auch Ablehnung.

Meine Bilder existieren und werden wahrscheinlich bis auf Weiteres das böse Gewissen aller Kunsthändler, Ästheten, Expressionisten und anderer alter Tanten und Gänse sein.

Die prägenden Erfahrungen der industriellen Wirren und menschlichen Tragödien des Ersten Weltkriegs, die er – wie viele seiner Künstlerkollegen – als Freiwilliger an der Front hautnah miterlebte, ließen ihn nach Kriegsende mittels seiner künstlerische Gabe Menschen und Lebensmomente der Großstadt in allen Facetten sezieren und ergründen. Die Ausstellung Otto Dix – Der böse Blick im Düsseldorfer Ständehaus K20 widmet sich dem besonderem Blickwinkel des Menschen und Künstlers Dix auf seine Umwelt, den er insbesondere während der ausgesprochen prägenden Jahren zwischen 1922 und 1925, die er überwiegend in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens durchlebte, eindringlich ausprägte.

Die Kriegsjahre im Leben von Dix, ohne die seine spätere Geisteshaltung sowie seine malerische Tätigkeit nicht plausibel zu rekonstruieren ist, wird in der Düsseldorfer Ausstellung räumlich getrennt betrachtet. In einer einengenden tunnelartigen Architekturkulisse sind fünf Mappen à zehn Radierungen on display, in denen Dix futuristisch den rohen Zyklus eines Krieges thematisiert, der für viele als großes Abenteuer begann und in einer persönlichen Katastrophe endete. Dix muss sich wie in einem schlecht inszenierten Schauspiel als junger Soldat vorgekommen sein. Die Sujets seiner Zeichnungen sind sämtlich negativ konnotiert; aus ihnen spricht Furcht, Hoffnungslosigkeit, Ungläubigkeit und eine einsetzende Kampfesmüdigkeit angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der deutschen Streitkräfte. Aus dem Träumer Dix, der mit Euphorie in den Krieg zog, ist ein kühler Realist geworden.

Auch den Krieg muß man als ein Naturereignis betrachten.

Dem emotionalen Tiefpunkt des Krieges im Leben des Künstlers begegnet die Ausstellung mit einer idyllischen Eröffnung in dem Bereich der Düsseldorfer Zeit ab Herbst 1922. Besonnene Pflanzenstudien stellen einen illustrativen Kontrast zu kriegerischer Zerstörung und den Abgründen menschlicher Existenz dar. Mit ausgewählten Highlights für die musische Vita von Dix zwischen 1919 bis zur endgültigen Abreise aus Düsseldorf 1925 wird dem Besucher ein klarer chronologischer Überblick über die zeitlich eng getaktete Ereignisabfolge angeboten; ein guter Orientierungsanker für den weiteren Besuch der Retrospektive, der es ermöglicht, die folgenden Raumkorridore eigenständig zu erkunden. Bei aufmerksamer Lektüre der verständlich formulierten biographischen Einführung besteht nicht die Gefahr, im Verlauf der Ausstellung in der Flut der ausdrucksstarken und einnehmenden Malerei von Dix verloren zu gehen. Vielmehr begibt man sich auf eine spannende Reise über einen progressiven Entwicklungspfad eines Künstlers, dessen scharfen Augen scheinbar kein menschliches Attribut verborgen geblieben ist.

Ich bin ein Augenmensch und kein Philosoph. Deshalb nehme ich in meinen Bildern immer wieder Stellung, zeige, was in Wirklichkeit ist und was um der Wahrheit willen gesagt werden muss.

Das Beobachtungsspektrum von Dix ist gewaltig. Wie ein Schwamm scheint er flüchtige Eindrücke des Großstadtlebens [Bsp. Düsseldorf (Straßenszene Düsseldorf), 1923], private Momente voller Intimität [Bsp. Nelly mit Ball, 1925] sowie Individualität in seinen Porträts [Bsp. Bildnis der Tänzerin Anita Berber, 1925] in sich aufgesogen zu haben, um sie anschließend in seinen Kunstwerken mit nüchterner Würde und handwerklicher Finesse in Form und Farbe wiederzugeben. Dem flüchtigen Lebensgefühl vieler Deutscher zwischen den Weltkriegen muss der gnadenlose Realismus, den Dix propagierte, befremdlich vorgekommen sein. Ausschnitte aus Walter Ruttmanns 35mm-Dokumentarfilm Berlin – Die Symphonie der Großstadt, der 1927 uraufgeführt wurde und als supplementäre Multimedia-Komponente raffiniert im Ausstellungskontext eingebettet ist, belegen eindringlich die Divergenz zwischen Wunschvorstellung einer nach sich selbst suchenden deutschen Gesellschaft und dem sezierend-sozialkritischen Anspruch des Künstlers Dix. In Deutschland sehnte man sich nach Harmonie. Melancholie, Träumerei aber auch Achtlosigkeit und mangelnde Selbstreflexion beherrschten den Dialog innerhalb der Gesellschaft. Ein Querdenker wie Dix passte da nicht rein.
In der fast 200 Gemälde umfassenden Ausstellung nehmen die mit Wasserfarben in Mischform oder auf Tempera gefertigten Porträts und Selbstbildnisse von Dix eine exponierte Position ein. In ihnen kann Dix sein inneres Verlangen nach der ultimativen Wiedergabe der kompletten Unverfälschtheit eines Individuums in seiner äußeren Gestalt und inneren Befindlichkeit radikal verbildlichen, ohne die Auflage der Wiedererkennbarkeit zu verletzen [Bsp. Selbstbildnis mit Staffelei, 1926].

Die Selbstbildnisse sind Bekenntnisse eines inneren Zustandes. (...); es gibt so viele Seiten eines Menschen. Im Selbstbildnis kann man das am besten studieren.

Dabei reduzierte er beständig das überhöht Expressive in seiner Bildsprache, um ein Level an natürlicher Seriosität zu erreichen, welches ihm erlaubte, physische und charakterliche Wesensmerkmale der Porträtierten [Bsp. Der Kunsthändler Alfred Flechtheim, 1926 oder Bildnis des Schauspielers Heinrich George, 1932] einen größeren Einfluss in der Bildkomposition einzuräumen. Ein stetiger werkimmanenter Prozess der Reduzierung auf ein Minimum künstlerischer Fiktion aus dem sich der Stil der Neue Sachlichkeit entwickeln sollte.

In Düsseldorf wurde Dix von verschiedenen Persönlichkeiten [Bsp. Bildnis der Kunsthändlerin Johanna Ey, 1924] der örtlichen Kunstszene eindringlich geprägt. Sein waches Auge wurde noch schärfer und kompromissloser. Das K20 rekapituliert diesen Fortgang mit einer Ausstellung, die mit Werken von Dix aufwarten kann, welche sich zu Ikonen der klassischen Moderne entwickelt haben. Hier muss man kein Kunstexperte sein, um die Bedeutung Düsseldorfs für Dix anhand seiner Bilder vollständig ergreifen und diese genießen zu können. Mehr Lob kann man den Initiatoren dieser Ausstellung nicht machen.
Die Ausstellung Otto Dix – Der böse Blick im K20 in Düsseldorf läuft noch bis zum 14. Mai 2017. Jedem Besucher wird ein 40 seitiges Booklet in deutscher und englischer Sprache kostenlos angeboten, welches 32 ausgewählte Werke der Ausstellung nochmals kurz in die oben beschriebene Gesamtausrichtung der Düsseldorfer Retrospektive für den Heimweg einordnet.
Kathrin Engelmann
Kathrin Engelmann
Doktorandin bei Frau Prof. Anne-Marie Bonnet, Universität Bonn.