Nacktheit, Schweizer Berge und der schonungslose Blick Ferdinand Hodlers auf Natur und Mensch

„Ich setze die Wahrheit über die Schönheit; ich kann nicht anders. Möge es den Leuten gefallen oder nicht.“

– Ferdinand Hodler
Die Wahrheit in den Dingen zu finden, ihren Kern zu ergründen und diesen darzustellen, war der Anspruch Ferdinand Hodlers an seine Kunst. Entlang dieses Grundsatzes entwickelte er sich in seiner Laufbahn von der akademischen Malerei seiner Lehrjahre schnell zu einem modernen Künstler mit einem eigenen Stil. Ferdinand Hodler (*1853, Bern) wurde in ärmlichen Verhältnissen geboren, schaffte es aber mit viel Fleiß, Ausdauer und auch Vehemenz sich schließlich Beachtung und Anerkennung zu „ermalen“. Er wurde Mitglied der Sezessionen in Berlin, Wien und München, avancierte zum „Medienstar der Schweizer Kunstszene“ und war schließlich vielfacher Millionär. Diesen Lebens- und Schaffensweg möchte die Ausstellung Ferdinand Hodler. Maler der frühen Moderne der Bundeskunsthalle nachzeichnen.

Als mutig und ungewöhnlich beschreibt Rein Wolfs das Display der Ausstellung: „Von Petersburger Hängung bis hin zu einem fast perfekten White Cube“ – Die Idee erscheint mit Hinblick auf Hodlers Entwicklung durchaus nachvollziehbar, spiegeln doch Hodlers frühe Werke aus den 70er und den anfänglichen 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in ihrer stilistischen Ausprägung noch seine akademische Ausbildung bei dem Maler Barthélemy Menn wider. Wie in den großen Museen der Zeit, dem Louvre oder der Eremitage, werden die Bilder nicht einzeln und auf Bildmitte zentriert, wie es heute üblich ist, sondern in Wolkenformationen gehängt - dicht an dicht und zumeist übereinander. Beim Vordringen in den Ausstellungsraum soll dem Betrachter mit Hilfe der Petersburger Hängung, die sich zunehmend zu einer Einzelhängung entwickelt, zugleich auch die stilistische Loslösung Hodlers vom Akademismus hin zu der Ausbildung seines persönlichen Stils, seines „modern Werdens“ vor Augen geführt werden.
Dem entsprechend wurde die Ausstellung unter der kuratorischen Leitung der Schweizerin Monika Brunner chronologisch organisiert, entlang Hodlers biographischem Weg. Für die Ausstellung Ferdinand Hodler. Maler der frühen Moderne wurde die große Halle der Kunst- und Ausstellungshalle Bonn nur durch hintereinander gestaffelte gigantische Stellwände unterteilt. So erwartet einen die gigantische Größe des Raumes, was der monoartistischen Ausstellung sicher entgegenkommt. Die Werke Ferdinand Hodlers werden unter fünf Titeln zusammengefasst und vor verschiedenen blauen Hintergründen präsentiert. Die Wände sind wiederholt durch ovale oder längliche Löcher durchbrochen, die als Durchblick nur an einer Stelle fungieren, wo sie dem Betrachter die Sicht auf Hodlers Tag im nächsten Raumabschnitt erlauben. Zumeist sind die Durchbrüche allerdings funktionslos. Erst wenn man den letzten Raumabschnitt erreicht, erklären sich die Formen der Durchbrüche und die Hintergrundfarben der Wände als Rezeption von Hodlers späteren Seenlandschaften mit blauem Himmel, strahlendem Wasser und stilisierten Wolken.
Die fünf Titel gliedern die Ausstellung und sollen das Verständnis für Hodlers Entwicklung erleichtern. Unter Titel 1 ist die Biographie Ferdinand Hodlers anhand einer Zeitleiste nachzuvollziehen. Seine Lehrjahre (Titel 2) zeigen vor allem Portraits, unter anderem auch zwei seiner zahlreichen Selbstportraits, und Landschaften. Dies ist auch in dem Zusammenhang zu sehen, dass Hodler an zahlreichen Wettbewerben teilnahm, den sogenannten Concours Calame oder dem Concours Diday. Die Bundeskunsthalle zeigt auch das Werk Waldinneres bei Frontenex/ Le nant de Frontenex - seinen ersten Erfolg in der Kunstwelt: Er gewann seinen ersten Concours Calame. Mit seinen Portraits verdiente er sich seit Beginn seiner Laufbahn Anerkennung und auch in seiner späteren Karriere wurde er immer wieder mit Bildnissen beauftragt. So portraitierte er unter anderem den General Wille im Jahr 1915. Ohne Auftrag schuf Hodler insgeheim noch eine Profilansicht zu der sich General Wille bei der Überreichung wie folgt äußerte: „Verehrter Meister, Sie bereiten mir da eine grosse Überraschung und eine ungeahnte Freude. Ich danke Ihnen herzlich dafür! [...] Offen gestanden, verehrter Meister – ich finde das Bild einfach scheusslich, aber ...furchtbar ähnlich!“ Der Künstlerfreund Félix Valloton sagte über Ferdinand Hodler: „Nachdem anfangs Lerneifer und Bescheidenheit sein Handwerk prägen, erweitert sich sein Horizont bei der Arbeit. Durch hartnäckige Anstrengung wird er sicherer, lockerer, er trägt breiter auf. Nach dem respektvollen Stil seiner Anfänge packt er jetzt gebieterisch zu.“ Unter der Überschrift 3 Fortkommen fasst die Bundeskunsthalle Arbeiten Hodlers zusammen, die bereits deutlich die signifikanten Merkmale seiner Malerei zeigen: Kalkige Farbigkeit, höchstes zeichnerisches Können, pathosgeladene Gestik seiner Figuren und eine Formalisierung aller seiner Motive, die auf einer distanzierten Betrachtung basieren. Neben einigen Frauenfiguren gehört zu diesen Werken auch ein Bildnis seines Sohnes Hector Bezauberter Knabe (1909), das die parallelen Strukturen, die Hodler als „Parallelismus“ bezeichnete, wiedergibt und auch die zeichnerischen Umrisslinien aufweist, die seine Bilder prägen. Das Werk repräsentiert die Rationalität mit der Hodler sein Motiv durchdringt und seinen eigenen Sohn auf der Leinwand zu einem allegorischen Sinnbild der kindlichen Unschuld werden lässt.
4 Internationale Erfolge: Zu Hodlers Unmut war er in der Schweiz zunächst wenig erfolgreich, dafür erhielt er große Anerkennung im Ausland, vor allem in Deutschland. Großformatige Gemälde mit allegorischen Themen – in der Bundeskunsthalle werden Die Lebensmüden gezeigt – führten zu Hodlers Durchbruch. Innerhalb eines Jahres – 1900 – wurde er Mitglied der Berliner und der Wiener Sezession, lernte die berühmtesten Maler der Zeit, wie Koloman Moser und Gustav Klimt kennen. Das großformatige Gemälde Der Tag von 1900 ist ein Spiegel des Zeitgeistes: Die Frauengestalteten in ihrer expressiven Posen erinnern an den Ausdruckstanz. Der Hintergrund ist ornamental durchgestaltet. Seinen Erfolg wusste Hodler immer wieder zu befeuern. Er avancierte zum „Medienstar“ der Schweiz. In nur kurzer Zeit erlangte Hodler immensen Reichtum, wurde in wenigen Jahren zum Millionär, zu seinem neuen Wohlstand hatte er jedoch auf Grund seiner Jugend in Armut nie eine rationale Beziehung. 1904 wurde er ebenfalls Mitglied der Münchener Sezession.Seine Prominenz verschaffte ihm viele Anhänger und neue Aufträge. So erhielt er den Auftrag, für das in den Jahren 1905 bis 1908 errichtete Universitätsgebäude in Jena ein monumentales Werk zu schaffen: Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813. Das Werk hat nun zum ersten Mal die Universität verlassen und wird in der BKH ausgestellt. In diesem Zusammenhang ist der eigene Raum zu sehen, der sich dem Skandal um Hodlers Unterschrift auf dem Protestschreiben gegen die Beschießung der Kathedrale von Reims 1914, welches diese als einen Akt der Barbarei deklamierte. Seine Signatur löste einen Sturm der Entrüstung in Deutschland aus. Man warf dem Maler Undankbarkeit vor, war Deutschland doch das Land seiner frühen Gönner, hier hatten seine Arbeiten zuerst Anklang gefunden, hatte er große Auftragsarbeiten, wie eben jene in Jena, ausgeführt. Das Monumentalwerk in Jena wurde in diesem Zusammenhang mit Brettern abgedeckt. Im folgenden Jahr begann Hodler mit der Arbeit an dem Portrait des bereits genannten General Wille. Die offiziell neutrale Schweiz hatte zu Beginn des Krieges Ulrich Wille zur Verteidigung der Schweiz zum General der Armee ernannt. Ulrich Wille war als deutschfreundlich bekannt und das Bildnis ist so auch als ein Akt der Beschwichtigung zu sehen. Wie Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813 werden auch monumentale Bildnisse wie Der Holzfäller I und II oder Der Redner unter der Überschrift Monumentalmalerei zusammengefasst. Die Ausstellung präsentiert die großen Bilder allerdings an den Seitenwänden der großen Ausstellungshalle. Die seitliche Hängung der meterhohen Bilder verhindert an mancher Stelle eine Betrachtung aus der Distanz, sodass einzelne Werke nicht ihre volle Wirkkraft entfalten können.

Chronologisch schließt die Ausstellung mit den Landschaften und weiteren Bildnissen ab. Formal-ästhetisch grenzen sich die Werke zum Sterben und Tod der Lebensgefährtin Hodlers Valentine Godé-Darel nicht von seinen Werken im Zusammenhang mit dem Kapitel des Internationalen Erfolges ab. Die Neuerung muss aus Sicht der Kuratorin also in der Beobachtung des Sterbens bestehen. Ein schonungsloser Blick auf das Vergehen des Daseins.
Hodler selbst studierte zwar die Natur, war aber der Überzeugung, dass man das Wesen der Dinge erforschen und verinnerlichen muss, um dann daraus schöpfend das Motiv auf die Leinwand zu bringen. Auf diese Weise muss sich der Besucher wohl den Zusammenhang der Bildnisse zu den Seenlandschaften erschließen. Seine späten Landschaften werden geprägt und durchdrungen von der Farbe, die ihn innerlich bewegte: Blau. Im Blau vereinigten sich nach seiner Auffassung Lebensspendendes und Jenseitiges. Er ordnet die Natur, sein Blick auf den Genfer See spiegelt ein Verständnis von Universalität. Der Parallelismus, die Wiederholung der natürlichen Ornamente, prägen seine letzten Werke bis zu seinem Tod 1918. Carl Albert Loosli, Schriftsteller und enger Freund Hodlers, beschreibt sie rückblickend: „Was er da malt, ist rein, abgeklärt, ja verklärt, wunschlos. Man empfindet seine reine, ungetrübte Freude am Schauen, die Lust der Augen- und Seelenweide. Die Freude um der Freude willen!“
Die Ausstellung Ferdinand Hodler. Maler der frühen Moderne ist nach etwa 17 Jahren die erste, die eine Überschau über Hodlers Œuvre zeigt.
Die Ausstellung in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland ist noch bis zum 28. Januar 2018 zu besuchen.