Die heiße Sommerhitze drückt auf den Vorhof des Bonner Kunstvereins. Rechts neben der Eingangstür prallen die grellen Sonnenstrahlen auf das erste Werk der Ausstellung Seven Sisters von Lucie Stahl. Sechs Öltonnen hängen symbolisierend in einer gebetsmühlenartigen Konstruktion. Noch außerhalb vom musealen Plateau traut sich so manch einer etwas näher heran, einige haben den Mut sie zu berühren und zu drehen.
Die partizipative Installation Petrochemical Prayer Wheel präsentiert den Besucher:innen einen der essenziellen Grundaspekte der Ausstellung. Mit Ihrer Arbeit erforscht Stahl mittels ihrer Kunst die Parallelen, die zwischen der Öl- und Milchindustrie bestehen. Hierfür nutzt sie unterschiedliche Medien und Formen der Kunst, wie Fotografie oder installative Konstruktionen, um sich vielseitig mit den Themen auseinandersetzen zu können.
Lucie Stahl, Petrochemical Prayer Wheel (public), installation view, Lucie Stahl: Seven Sisters, Bonner Kunstverein, 2022. Courtesy the artist, Cabinet Gallery, London, dépendance, Brussels, Fitzpatrick Gallery, Paris and Los Angeles and Galerie Meyer Kainer, Vienna. Photo: Mareike Tocha.
Der Umgang mit dem rohen Naturprodukt, das wir als Menschen absaugen, abpumpen und verbrauchen, wird in Lucie Stahls Arbeiten mit einer kritischen und zugleich interessierten Herangehensweise thematisiert. Hierbei erkennt sie die bestehenden Parallelen zwischen der Öl- und Milchindustrie und schafft zu dem Prozess der Ausbeutung unseres Planeten, Arbeiten, die beobachtend und verarbeitend zugleich wirken. Anstatt sich sehr global und groß fassend auf ihr Thema zu stürzen, pickt sich Stahl Details heraus, die sie besonders intensiv in ihren künstlerischen Recherchearbeiten belichtet. Teilweise passiert das durch Nahaufnahmen, die uns als Beobachter:innen so nahe heranziehen, dass das Motiv abstrahiert wird. Teilweise aber auch durch wundersame Stahlkreaturen, die als Fotografien, aber auch als skulpturale Installationen gezeigt werden.
Begibt man sich in die Ausstellung, fällt einem erst recht auf, wie mannigfaltig sich ihr Œuvre mit der Öl- und Milchindustrie befasst. So wird der Blick der Betrachter:innen bei den Fotografien Burrows bis zur Abstrahierung des Produkts an die Ölflecken herangezoomt und man meint fast Gestalten und Szenerien erkennen zu können. Die Paarung der silberglänzenden Metallplatten, die den Fotografien als Untergrund dienen und den surreal wirkenden Nahaufnahmen, scheinen uns als Menschen bezüglich unseres Konsum-/ Wegwerfverhaltens im Unterbewusstsein zu bewegen.
Lucie Stahl, Burrows, installation view, Lucie Stahl: Seven Sisters, Bonner Kunstverein, 2022. Courtesy the artist, Cabinet Gallery, London, dépendance, Brussels, Fitzpatrick Gallery, Paris and Los Angeles and Galerie Meyer Kainer, Vienna. Photo: Mareike Tocha.
Lucie Stahl, Burrows, installation view, Lucie Stahl: Seven Sisters, Bonner Kunstverein, 2022. Courtesy the artist, Cabinet Gallery, London, dépendance, Brussels, Fitzpatrick Gallery, Paris and Los Angeles and Galerie Meyer Kainer, Vienna. Photo: Mareike Tocha.
Anders sieht es bei Stahls Giants aus; eine Reihe von Fotografien, die die Besucher:innen die Bohrinseln von einer „sicheren“ Distanz aus wie wilde See-Kreaturen in ihrem vermeintlich „natürlichen“ Habitat beobachten lassen. Auf den Fotos werden nur die Teile der Inseln sichtbar, die aus dem Wasser herausragen. Sie verwandelt die von Menschenhand geschaffenen Landschaften in scheinbar umherwandernde monströse Wesen, denen eine gewisse potenzielle Bedrohlichkeit innewohnt. Die Bohrinseln werden scheinbar eins mit der Umgebung, in der sie situiert sind. Der Grat zwischen dem, was natürlich und unnatürlich ist, scheint sich drastisch zu verschmälern.
Lucie Stahl, Giants, installation view, Lucie Stahl: Seven Sisters, Bonner Kunstverein, 2022. Courtesy the artist, Cabinet Gallery, London, dépendance, Brussels, Fitzpatrick Gallery, Paris and Los Angeles and Galerie Meyer Kainer, Vienna. Photo: Mareike Tocha.
Humorvoller geht es dann bei Fuel vonstatten, einem riesenhaften vierbeinigen Wesen, das stark an eine Melkmaschine erinnert. Das wuchtige Geschöpf hält sich auf vier Saugnapffüßen und befindet sich sicher verriegelt in einer Art musealem Gehege für karikaturistische Fantasietiere.
Lucie Stahl, FUEL, installation view, Lucie Stahl: Seven Sisters, Bonner Kunstverein, 2022. Courtesy the artist, Cabinet Gallery, London, dépendance, Brussels, Fitzpatrick Gallery, Paris and Los Angeles and Galerie Meyer Kainer, Vienna. Photo: Mareike Tocha.
Lucie Stahls Seven Sisters - skulpturale Installationen, die auf die sieben Plejaden (gezeugt vom Titanen Atlas) anspielen -, repräsentieren die sieben Ölkonzerne, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 70er auf dem Ölmarkt prominent agierten. Von den ursprünglichen sieben „Schwestern“, existieren heute jedoch nicht mehr alle. Bizarr stehen die personifizierten Installationen in dem Raum, jede für sich und doch in Bezug zueinander. Mit ihren Figuren, die unter durchsichtigem Textil und korsettartig zusammengeschnürten Bändern liegen, lassen sie an Bohrinseln erinnern. Stahl schafft mit ihren sieben Installationen Individuen, die skurriler Weise eine gewisse Erotik mit sich tragen. Schnürungen erinnern an Bondage - sehr passend, wenn man nun auch an die Tierhaltung in der industriellen Milchgewinnung denkt.
Lucie Stahl: Seven Sisters, installation view, Bonner Kunstverein, 2022. Courtesy the artist, Cabinet Gallery, London, dépendance, Brussels, Fitzpatrick Gallery, Paris and Los Angeles and Galerie Meyer Kainer, Vienna. Photo: Mareike Tocha.
Die befremdlich wirkenden Kreaturen und noch vieles mehr in der Ausstellung Seven Sisters, können noch bis zum 31/07/22 im Bonner Kunstverein bewundert werden. Kommen Sie gerne vorbei und toben Sie sich auf dem Kunstspielplatz des Bonner Kunstvereins aus!