Institutionskritik : Das Museum als Ort der permanenten Konferenz (J.B)

100 Jahre Beuys werden Deutschlandweit in jedem Museum gefeiert. Das Mönchengladbacher Museum Abteiberg tut dies jedoch auf eine überaus kreative Art und Weise und lässt die aktuelle Ausstellung unter anderem wie eine Hommage an den Ideenreichtum von Joseph Beuys er-scheinen. Hauptattraktion stellen hier die über drei Etagen verteilten Werke von Joseph Beuys und Ghislaine Leung dar, aber auch der Raum Sammlung/Archiv Andersch dürfte die Besuchen-den beeindrucken.

„Ich will ja die Museen zu Universitäten machen, die dann praktisch ein Departement für Objekte haben.“ Dieser Vision von Joseph Beuys scheinen die Kurator*innen Susanne Titz und Haris Giannouras in der Ausstellung Institutionskritik: Das Museum als Ort der permanenten Konferenz (J.B.) nachzugehen. Mit Hilfe der Künstlerin Ghislaine Leung können sich hier die Schaf-fenszeit von Beuys und die Gegenwart in der Institution Museum begegnen. Genau wie Beuys wirft auch Leung eine vielfältige Bandbreite an Fragen über die Bedeutung des Begriffs Instituti-on und die Funktion des Museums auf und versucht durch ihre Kunst als Forschungsmedium Antworten zu finden. Sie nutzt das Museum, einen Ort des Wissens, sozusagen als Plattform um ihren Fragen nachzugehen. Das Museum als Institution wird genau untersucht und tendenziell eher kritisch betrachtet.
Ungewohnt und überraschend, ja vielleicht sogar auch etwas einschüchternd wirkt es, wenn das Museum die Besuchenden nicht mehr an der Hand nimmt und mit Hilfe von nummerier-ten Räumen, einer klaren Reihenfolge oder wenigstens einer niedergeschriebenen Anweisung durch das Museum leitet. Das kann andererseits aber auch ein sehr befreiendes Gefühl herauf-beschwören. In der aktuellen Ausstellung des Museums Abteiberg gibt es weder Richtig noch Falsch, kein Links oder Rechts, kein Unten oder Oben. Das Museum bietet sich als riesengroßen Spielplatz für Kunstliebhabende an.

Auch chronologische Abfolgen sind Fehlanzeige. Wer lediglich deshalb einen kurzen Mu-seumsbesuch geplant hat um nur die Werke Beuys schnell mal abzuklappern und mit der Erwar-tung hinein kommt, Beuys hinge in einem oder zwei Räumen, wird sich schnell wundern. Mensch muss schon in jede Ecke geschaut haben, um alles von Beuys gesehen zu haben. Dieses ge-mischte Konzept von Werken und Künstler*innen bringt also unter anderem den Vorteil mit sich, dass sich nicht ausschließlich mit Beuys beschäftigt wird, sondern bietet auch die Interaktion mit anderen Werken.

Sollten die verschiedenen Eindrücke und gesammelten Impressionen doch zu anstren-gend werden, bietet sich der Raum Sammlung/Archiv Andersch für eine kurze Pause an. Hier wird die Wichtigkeit der Archivarbeit gegenüber der Kunst der 1960/70er thematisiert. In diesem Raum wurde eine Art kleiner Denkstationen aufgebaut, wo sich Tische und Stühle als Sitzgelegenheit zur Erholung anbieten. Die zu Verfügung gestellten Bücher, Flyer und I-Pads laden zum Stöbern ein. Erholt und mit einem erfrischten Geiste kann die Ausstellung dann weiter erkundet werden.
Im Erdgeschoss befinden sich auf den ersten Blick vor allem Werke von Leung. Ihre Aus-stellung Portraits zeigt Werke, die im Auftrag des Museums Abteiberg gezielt für die Ausstellung geschaffen wurden. Sie wirft mit ihrem Werk Fragen nach der Bedeutung einer Institution auf und thematisiert wie unterschiedlich Kritik aussehen und aufgenommen werden kann.

Arches (Bögen, 2021) spiegelt dies besonders gut wider. Leung untersucht unter ande-rem die Abhängigkeit und Wechselwirkung zwischen Museum und Kunst, welche bei Betrachtung ihrer Bögen noch deutlicher wird, da die Lebensdauer der mit Stromgeneratoren aufgeblasenen Bögen wortwörtlich von der Institution abhängig ist. Stellt das Museum den Strom ab, fällt auch das Kunstwerk in sich zusammen.
Ihre institutionellen Zeichnungen (Institutional Drawings, 2021) auf Zuckerpapier rücken das spezifische institutionelle Konzept des Museums Abteiberg in den Mittelpunkt. Ihre Zeich-nungen von Innenräumen, die ohne Wände dargestellt sind, spielen auf die architektonische Vorgehensweise von Hans Hollein, dem Architekten des Museums an und zeigen seine Art ein Gebäude von innen nach außen hin zu gestalten.
Ebenfalls von eher ephemerem Charakter sind Leungs Kinderhalsketten betitelt als Daughters (Töchter, 2021) die, genau wie die Zeichnungen, aus essbarem Material, in diesem Falle aus Zuckerperlen bestehen und ihre Faszination für Veränderung und den Fluxus zeigen. Nun ist es wichtig zu bedenken, dass es sich hierbei keinesfalls um eine Nachstellung von Kunstwerken des Fluxus handelt. Und dennoch ist ein gewisses miteinbeziehen oder berücksich-tigen dieses Fluxus spürbar. In der Broschüre wird hierauf ebenfalls nochmal eingegangen und erläutert, dass sich das Kunstwerk mit der Zeit zwangsläufig verändern wird; eins von vielen The-men welches im Fluxus untersucht wurde 1. Sie werden in zwei rechtwinklig aufeinandertreffenden flurartigen Gängen gezeigt, welche dann in einen Innenraum münden, in dem Zeichnungen von Beuys gezeigt werden, die während eines Interviews mit Frans Haks entstanden sind. Etwas herausstechender wirkt das überdimensionale Schild Portraits.
Trotz ihrer Schlichtheit sind sie nicht zu übersehen, Ghislaine Leungs Browns (Brauntöne 2021). Die 1,50 hohen braunen Mauerflächen begleiten durch das ganze Museum, leiten von Raum zu Raum und treffen somit auch auf andere Kunstwerke. Sie breiten sich sogar in den Räumen der Sammlungen aus und dürfen Werken wie beispielsweise denen von Joseph Beuys und Isa Genzken begegnen. Browns breitet sich nicht nur im Museum aus, sondern verbindet sich auch mit ihm, verknüpft die Räumlichkeiten, Künstler*innen und Kunstwerke miteinander. Ähnlich wie Beuys zeigt Leung großes Interesse an Museen und dem, was sie alles darstellen und sein können. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass ihre Auffassung von Kritik nicht missver-standen wird. Leung sieht die Institutionskritik als „Komplizin der Institution“ da sie als Teil davon zu dem Bestehen des „Macht- und Beglaubigungsapparats“ beiträgt2. Auch Bourdieu spricht vom Kunstwerk oder viel mehr vom Wert des Kunstwerks als Fetisch, wel-cher durch „den Glauben an die schöpferische Macht des Künstlers“ erzeugt wird und bestehen bleibt. Leung führt diesen Gedanken weiter und kommt zum Schluss, dass solch eine „Kompli-zenschaft“ mit dem Fetischismus nicht als negativ zu verstehen ist. Institutionskritik hilft dabei den Glauben an diesen „Beglaubigungsapparat“ oder in Bourdieus Vokabular, den Glaube an das Spiel zu wahren3.

Bourdieu erklärt in seinem Werk Regeln der Kunst seine Feld Theorie die besagt, dass der soziale Raum sich in mehrere Felder unterteilen lässt. So entstünde dann beispielsweise das politische Feld, das ökonomische Feld, das literarische Feld, usw. Laut Bourdieu wäre auch die Kunstwelt eines dieser Felder und könnte sich als „institutionelles Ökosystem“, wie jedes andere Feld auch, selbst versorgen. Dieses „in sich funktionieren“ eines sich selbst bedienenden Sys-tems betitelt er als das sogenannte Spiel. Damit sein System funktionieren kann benötigt es ei-nes kollektiven Glaubens an dieses Spiel. Er schreibt jedes Feld erzeuge eine individuelle Art der Illusio, die an sich dazu beiträgt den Glauben an das Spiel zu wahren. Leung scheint sich nicht an Bourdieus Überlegungen zu stören. Anstatt aus diesem Spiel, oder der Illusio auf rebellische Art ausbrechen zu wollen, entscheidet sie sich dazu sich mit der Institution Museum zusammen-zuschließen, um gemeinsam die übliche Art der Ausstellungskonzeption zu überschreiben. Bour-dieus Begriff des Pareto, welcher die Kombination aus Gewohnheitsverhalten und logischem Denkverhalten beschreibt, wird in dieser Ausstellung also gebrochen4.

Leung sieht die Zusammenarbeit mit dem Museum als Chance zur Weiterentwicklung mit-tels einer Art Überarbeitung der Institution, durch welche das Museum die Ausübung der Selbst-kritik erlernen soll. Peter Bürger schreibt in seiner Theorie der Avantgarde, dass erst dann, wenn die Kunst in das Stadium der Selbstkritik eintritt, das "objektive Verständnis" vergangener Epo-chen der Entwicklung der Kunst möglich ist5. Damit Kunst, aber auch die Institution Museum im ständigen Wandel bleibt und sich in einer fort-schrittlichen Vorwärtsbewegung befindet, ist es von Nöten das Museum zur Selbstkritik zu befähi-gen.
Die Ausstellung zeugt von einem äußerst modernen Ansatz im Lichte der Aufgaben eines Muse-ums. Die Institution, samt all ihren Mitarbeiter*innen, zeigt sich zur Neuerung bereit und begreift, dass die Zusammenarbeit mit Künstler*innen als eine Notwendigkeit zu verstehen ist, wenn man bedenkt, wie eng sich die Beziehung zwischen Museum, Künstler*in und Kunstwerk gestaltet. Weitergehend erklärt Leung die Auswirkung die solch eine Zusammenarbeit auf die Kunst haben kann. Sie schreibt, dass kritische Kunst dazu neigt sich selber zu instituieren da sie innerhalb einer Institution agiert. Dies sei jedoch nicht unüblich, denn oft erweise sich die Opposition oder die Gegenkraft als genau das Zielobjekt, das kritisiert werden soll. Die Kritik und die Institution, an der Kritik ausgeübt wird sind also enger verbunden, als es auf den ersten Blick scheinen mag. „Wenn ich dies sage, will ich damit nicht behaupten, dass Kritik von außen geschehen muss.“6 Wichtig dürfte nicht die Beziehung zwischen »uns« und »ihnen« sein, sondern das Phänomen, dass wir häufig beide Positionen einnehmen. Das ist unsere Komplizenschaft.“7
Leung erklärt, dass Kritik die zur Erkenntnis gelangt, dass sie selber auch nichts weiter als eine Institution ist, die Komplizenschaft als Ausgangsbasis zur Aktionsfähigkeit sehen solle8

Widerstand führt nicht immer zu Verbesserung. Dies hat das Museum Abteiberg offensichtlich verstanden – zeugt doch bereits die Einladung Leungs von dem Wunsch eines offenen Diskur-ses, der sich auch für die Besuchenden durch die Ausstellungskonzeption transparent und ver-ständlich gestaltet.
Das Museum Abteiberg geht mit gutem Beispiel voran und bietet sich als Plattform oder Ort der Begegnung und des Wissensaustausches an. Denn das Museum ist ein Ort des Wissens wie des Lernens und genau aus diesem Grund ist es so wichtig, dass sich das Museum auch wandeln können sollte.

Wer sich als kunstbegeisterte Person auch für philosophischere Themen begeistern kann, für den war die Ausstellung Institutionskritik: das Museum als Ort der permanenten Konferenz die richtige Adresse. Wer sich darüber hinaus mit Ghislaine Leung beschäftigen möchte, dem sei als Sammlerstück die limitierte Edition in Form der legendären Kassettenkataloge des Museum Ab-teiberg (mit Textbeiträgen in Deutsch/Englisch) wärmstens empfohlen.
Fußnoten:

1. Vgl. Leung 2021, S. 9.

2. Vgl. Leung 2021, S. 35.

3. Vgl. Bourdieu 1999, S. 360–363.

4. Ebd.

5. Vgl. Buerger 1974, S. 28..

6. Leung 2021, S. 33.

7. Leung 2021, S. 35.

8. Vgl. Leung 2021, S. 35.

Beuys + Haks 1993 Beuys, Joseph, Haks, Frans: Das Museum. Ein Gespräch über seine Aufgaben, Möglichkeiten, Dimensionen... Wangen.
Bourdieu 1999 Bourdieu, Pierre : Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Buerger 1974 Buerger, Peter : Theorie der Avantgarde. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Leung 2021 Leung, Ghislaine : Portraits. Mönchengladbach: Museum Abteiberg.