Bunte und provokative Street Art ziert die Wände des Bahnhofs. Ein Pot- Porree aus veganen Cafés, türkischen Schnellimbissen, indischen Restaurants, Afro-Shops und asiatischen Feinkostläden. Tagsüber versammeln sich Familien in Parks und Spielplätzen, wo sie ihre Ruhe haben. Nachts stürmen Studenten die Veedels-Kneipen. Hungrig und rastlos. Ehrenfeld ist voll von Dichotomien, Kulturpluralismus und Geschichte. Das Heliosgebäude aus dem 19 Jhd. mit dem markanten, weiß-roten Pseudo-Leuchtturm. Ein Hochbunker, das in den 1940er Jahren als Luftschutzbunker benutzt wurde. Und ein 150- Jahre altes Haus an der Hansemannstraße 2, welches sich mit dem Titel als eines der ältesten Gebäude Ehrenfelds brüskieren durfte. Aber cést la vie, alles ändert sich früher oder später mal und das Viertel ist ständig im Wandel. Die Helios AG ist schon lange weg. Das denkmalgeschützte Haus wurde aufgrund des marodierenden Zustands abgerissen. Szeneclubs wie Underground oder Heinz Gaul wichen dem Bau von Wohnungen, Büros, Schulen und Gewerbeflächen. Und was ist mit dem Bunker passiert? Seit 2012 fördert der Verein „Förderkreis Hochbunker Körnerstraße 101 e.V“ regionale, länderübergreifende und internationale künstlerische und kulturelle Bestrebungen. Ausstellungen, Performances, Konzerte und Lesungen. Das Bunker k101 ist ein Kunst Ort durch und durch.
Aktuell läuft dort die Gruppenausstellung „3 Schwestern spinnen“, in welcher die Künstlerinnen Esther Kusche, Krystiane Vajda und CATbosshammer verschiedene künstlerische rote Fäden miteinander zusammenspinnen.
Angefangen hat alles mit der zweiten Vorsitzenden des Vereins, Petra Bossinger. Sie kam auf die Künstlerinnen mit der Idee einer Gruppenausstellung zu. Ein Experiment, so Krystiane Vajda, denn in dieser Konstellation haben die Kunstschaffenden zum ersten Mal gemeinsam ein Projekt realisiert. Zu Beginn können die Besucher: innen die Installation Esther Kuschers in Form eines Durchgangs betreten. Kusche interessiert sich bei der Materialauswahl für alltägliche Gebrauchsgegenstände, die so nicht mehr gebraucht werden. In diesem Fall benutzte die Künstlerin Folien, Verpackungsmaterialien sowie Tüten, um sie in ihrem Kunstwerk neu zu arrangieren und die Ursprungsobjekte so in einen neuen Kontext zu setzen. Auf der anderen Seite des Durchgangs befindet sich das Werk 547 Chorknaben (2017) von Krystiane Vajda. Eine anonyme, bucklige Figur beugt sich über ein kleines Kind, dass nur halb so groß ist. Währenddessen ist der Blick des Kindes auf die Betrachter: innen gerichtet. Der Titel selbst bezieht sich auf die Regensburger Domspatzen. Als der Rechtsanwalt Richard Weber in seinem Abschlussbericht 2017 angab, dass insgesamt über 547 Chorsänger: innen der Domspatzen Opfer von körperlicher sowie sexueller Gewalt waren, gab es ein großes mediales Echo. Aber wie bei allen Echos verstummte auch dieses nach einer Weile. Vajda will mit ihrem Werk auf diese Missstände aufmerksam machen und wachrütteln. CATbosshammers Silence (2019) stellt in diesem Raum eine künstlerische Reaktion zu Vajdas Werk dar. In der Collage, bei der sie weiße Tusche auf Papier auftrug, ist eine Frau mit einem ruhigen Blick abgebildet. Nachdenkliche und andachtsvolle Stille folgt auf ein solch einnehmendes Sujet. Dieses Konstellationsprinzip durchzieht die gesamte Ausstellung.
Die Kunstwerke sind nie isoliert zu betrachten, sondern beziehen sich immer aufeinander, wie in dem Zusammenspiel zwischen CATbosshammers Black Velvet (2022) und Vajdas Installation Erinnerungskörper (2022) deutlich wird. Seit drei Jahren führt Vajda nun zusammen mit ihrem Mann Markus Befragungen von Sinte*ezze und Rom*nja durch, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden. Das Interviewprojekt selbst wurde erst kürzlich im Juni im Rahmen der Ausstellung Klänge des Lebens im NS- Dokumentationszentrum in Köln, zusammen mit Dr. Karola Frings (ehem. stellvertretende. Direktorin des NS- DOK) vorgestellt. All diese Eindrücke aus den Interviews sind in der Installation spürbar. Abbildungen von NS- Verfolgten, die wie an Fleischerhaken an der Decke aufgehangen wurden. Zusammenschnitte von Aufnahmen aus jener Zeit. Eine Mutter mit ihrem Kleinkind im Arm. Ein Mädchen in einem Kleid. Ein Junge im blau-weiß gestreiften Pyjama. Durch die Brücke, welche von Esther Kusche eigens für die Ausstellung gebaut wurde, können die Betrachter: innen all diesen Personen auf Augenhöhe begegnen. Die Blume, die in Black Velvet abgebildet ist und sich direkt gegenüber befindet, setzt dann an dieser Schnittstelle ein Zeichen. Etwas hat überlebt. Eine zarte schwarze Blume.
Wer kennt es nicht? Grade noch einen neuen Regenschirm geholt und schon ist der kaputt. Reparieren? Nein, Danke. Gleich Online einen neuen bestellen und morgen schon benutzen? Ja bitte. So oder so ähnlich spielt sich dieses Szenario in vielen deutschen Haushalten ab. Kusche will mit ihrem Werk Wächter (2020), welches aus defekten Regenschirmen sowie Kunststoffband besteht, die Betrachter: innen zum Hinterfragen animieren. Die Nutzung von Objekten und damit verbunden das Verhalten zu ihnen stehen im Mittelpunkt ihrer künstlerischen Intention. Genau vor diesem Werk hatte auch AntiStella bei der Vernissage am 8.07. für eine musikalische Untermalung des Abends gesorgt. Ihre Songs gingen über Vergänglichkeit, Schmerz und auch über die Liebe, genau wie einige Werke in der Ausstellung. Krystiane Vajda stellt zwei figurative und abstrakte, ineinander verschlungene Körper da und fragt Is this love? (2017), während sich CATbosshammer in der Fotoreihe Falling in love with Polaroids (2022) in die Polaroid- Fotografie verliebt. Wer übrigens nach der Ausstellung immer noch nicht genug hat, kann sich die ganze Street Art an den Bahnhöfen und Hauswänden anschauen. Ehrenfeld ist voll von Kultur.
Die Ausstellung „3 Schwestern spinnen“ wurde bis zum 30.07 verlängert und kann immer noch im Bunker k101 besucht werden. Jeweils Mittwoch sowie Samstag von 18-21 Uhr. Neben dem klassischen Ausstellungsbetrieb finden im Bunker auch Lesungen, Performances sowie Konzerte statt. Hier ist für jeden Kulturbegeisterten etwas dabei.