Fast Fashion – das ist Mode, die innerhalb kürzester Zeit entworfen, hergestellt und meist verlockend preisgünstig zum Verkauf angeboten wird. Die aktuelle Sonderausstellung „Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum geht den Hintergründen und Folgen dieser Unternehmensstrategie nach. Zugleich eröffnet die Schau Einblicke in eine gegensätzliche Tendenz, die sogenannte Slow Fashion – Mode, die nachhaltig und verantwortungsbewusst produziert und konsumiert wird.
Wir alle wissen: Ein T-Shirt für fünf oder eine Jeans für zehn Euro können nicht unter fairen Bedingungen hergestellt worden sein. Doch auch höhere Kleidungspreise sind kein Garant für bessere Produktionsverhältnisse. Oft ist der Weg, den unsere Kleidung zurückgelegt hat, intransparent. Ob aus Ahnungslosigkeit oder weil das Wissen um verheerende ökologische Folgen und unmenschliche Produktionsbedingungen verdrängt wird – viele bedienen sich der ständig wechselnden Fast Fashion-Angebote. Trendsettern und massenhaft Shoppen bedeuten heute soziale Anerkennung und Selbstverwirklichung.
„Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“ führt anhand von sachlich dargestellten Fakten einerseits und künstlerischen Positionen andererseits die Hintergründe und Folgen der Fast Fashion-Industrie vor Augen und stellt demgegenüber Konzepte aus dem Bereich Slow Fashion vor. Das Kuratorium und die vertretenen KünstlerInnen verzichten dabei auf moralische Belehrungen und lassen die Informationen und künstlerischen Statements für sich stehen. Auch ohne Fingerzeig bewegt das Gesehene und regt zum intensiven Nachdenken über den eigenen (Kleidungs-)Konsum an.
Im ersten Ausstellungsbereich zum Thema Fast Fashion, konzipiert vom Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, bewegen sich die BesucherInnen zwischen nachgestellten Schaufenstern, Umkleidekabinen mit Vorhängen und Spiegeln, Fast Fashion auf Kleiderständern und Litfaßsäulen. In einer Szenerie also, die nur wenige Schritte vom Museum entfernt Normalität ist. Texte, Grafiken und Videos informieren über die negativen Auswirkungen der Fast Fashion-Produktion auf die Umwelt: Eine Jeans legt ungefähr 40.000 Kilometer über den Globus zurück – vom Designentwurf in den Niederlanden, dem Baumwollanbau in Usbekistan, dem Weben des Stoffes in Indien, der Färbung in China über das Nähen in Bangladesch und die Veredelung in der Türkei bis hin zum Verkauf in Deutschland. Als letzte Station der Jeans ist Sambia angegeben. In afrikanischen Ländern wie diesem landet ein Großteil der Altkleidung aus westlichen Ländern. Neben dem umweltbelastenden Transport von Fast Fashion stellen auch der Einsatz von Chemikalien und der Verbrauch von Wasser eine ökologische Gefahr dar: Für ein Kilogramm Fast Fashion-Textilien werden durchschnittlich ein Kilogramm Chemikalien und 300 Liter Wasser benötigt. In der EU existieren hohe Umweltschutzauflagen, doch diese gelten nicht für den Import von unökologisch hergestellter Ware. So stammt ein Großteil der in Deutschland konsumierten Kleidung – etwa 90 Prozent – aus Regionen außerhalb der EU, vor allem aus asiatischen Ländern. Auch die Ausbeutung und Quälerei von Tieren wird in der Ausstellung thematisiert: Ein Video der Tierrechtsorganisation PETA zeigt, auf welch brutale Weise Angorakaninchen in China ihr Fell abgenommen, ja wie es ihnen bei lebendigem Leib über die Ohren gezogen wird.
Die Ausstellung geht in besonderer Weise auf die Situation derer ein, die mit der Textilindustrie tagtäglich in Verbindung stehen: TextilarbeiterInnen in asiatischen, afrikanischen und osteuropäischen Ländern, darunter besonders Frauen. Sachlich, fast nüchtern wird auch hier informiert, zum Beispiel über Missstände wie die geringe Entlohnung: Nur ein minimaler Anteil des Kaufpreises von Fast Fashion-Produkten geht an die TextilarbeiterInnen, das verdiente Geld reicht kaum zum Leben. Besonders bewegend sind die in der Ausstellung präsentierten künstlerischen Statements. Die Menschen und ihr Schicksal rücken so in den Vordergrund, Abstraktes wird greifbar. Die aus Bangladesch stammende, bereits mehrfach international ausgezeichnete Fotografin Taslima Akhter dokumentierte den medial stark diskutierten Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Sabhar bei Dhaka, Bangladesch am 24.4.2013. Ihre Fotos mit dem Titel „Der Tod von tausend Träumen“ zeigen Opfer und Überlebende der Katastrophe sowie deren Angehörige: die 25-jährige Textilarbeiterin Rojina, die durch den Gebäudeeinsturz ihre Hand verlor. Die Mutter der vermissten 18-jährigen Rina, die noch Tage später an der Absperrung vergeblich auf ihre Tochter wartet. Die Eltern der ebenfalls 18-jährigen Shirin, die nach langem Suchen die Leiche ihrer Tochter auffinden. Akhter hält auch den in ihrer Heimat aufgekommenen Protest für mehr Gerechtigkeit in der Textilproduktion fotografisch fest. Ansprechend und abschreckend zugleich ist die Arbeit „beyond fashion“ der Berliner Künstlerin Susanne A. Friedel von 2012. Im Stil klassischer Modewerbeplakate zeigen Friedels Fotos Models, die Kleidung präsentieren – im ersten Moment nichts Ungewöhnliches. Auf den zweiten Blick wird jedoch offensichtlich, dass es sich bei den Personen um Arbeiterinnen aus der Textilbranche handelt. In beigefügten Zitaten prangern die Frauen bestehende Ungerechtigkeiten an, auf jedem Plakat klafft zudem ein äußerst geringer Preis für die präsentierten Kleidungsstücke.
Mit diesen vielfach schockierenden Eindrücken verlässt der Besucher den ersten Ausstellungsbereich und gelangt in den zweiten Teil, der sich dem Gegenmodell Slow Fashion widmet und aus Exponaten des Rautenstrauch-Joest-Museums zusammengestellt ist. Hier erwartet die BesucherInnen ein nachhaltig anmutendes Ausstellungsdesign mit an die Wand gepinnten Fotos.
Unter Überschriften wie „Natur und Nachhaltigkeit“, „Geschichte und Globalisierung“ und „Identität und Impuls“ werden Projekte von Politik, Unternehmen und VerbraucherInnen gezeigt, die sich für entschleunigte und gerechte Mode engagieren. Respekt und Verantwortungsbewusstsein gegenüber Mensch, Tier und Umwelt ziehen sich wie ein roter Faden durch die präsentierten Slow Fashion-Konzepte. Vorgestellt wird zum Beispiel die Kleidung der haitianisch-italienischen Designerin Stella Jean, die eine Fusion unterschiedlicher kultureller Einflüsse darstellt. Auf einer Videoleinwand an einem nachgebauten Laufsteg zeigen Models ihre Mode. Ausführungen über kulturell wertvolle und identitätsstiftende Produktionsverfahren werden durch Objekte des Rautenstrauch-Joest-Museums begleitet. Eine 4000 Jahre alte Keramik mit an Seidenspinnern, Kokons und Maulbeerbäumen erinnernder Musterung ist beispielsweise Zeichen für die jahrhundertelange Tradition der Seidenweberei in Thailand.
Abschließend stellt sich die Frage: Ist Slow Fashion heute tatsächlich die bessere Alternative? Aus moralischer Sicht muss die Antwort eindeutig „ja“ lauten. Was in der Ausstellung jedoch zu kurz kommt: Viele Slow Fashion-Angebote, gerade auch Kleidungsstücke der vorgestellten DesignerInnen wie Stella Jean, sind nur zu Schwindel erregenden Preisen erhältlich. Mittlerweile gibt es auch kostengünstigere faire Mode, doch auch diese bewegt sich in einer höheren Preisspanne als Fast Fashion-Kleidung. Wie auch GeringverdienerInnen ihre Garderobe nachhaltig gestalten können, zeigen SchülerInnen der Internationalen Friedensschule Köln, die sich in einem Projekt mit dem Ausstellungsthema auseinandergesetzt haben. Per Handzettel geben die SchülerInnen hilfreiche und realistische Tipps mit auf den Weg: den eigenen Kleiderschrank aufräumen und vergessene Kleidungsstücke hervorholen, Second-Hand kaufen, Kleidung tauschen, aus- und verleihen und vor jedem Kauf den eigenen Bedarf hinterfragen.
„Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“, Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt, Köln, 12.10.2018 bis 24.2.2019