Ein Schritt aus dem Schatten: „Maestras“ im Arp Museum

„Ich werde Eurer erlauchten Lordschaft zeigen, zu was eine Frau fähig ist.“

– Artemisia Gentileschi

Wer fällt Ihnen ein, wenn man Sie nach Kunst fragt und welche bekannten Werke schwirren vor Ihrem inneren Auge? Da Vinci, Rembrandt, Monet, Picasso oder Hockney? – Sicher, manch eine*r wird auch an Anguissola, Gentileschi, Cassatt, Kahlo oder Abramović denken – aber die Wahrscheinlichkeit für Letzteres ist deutlich geringer. (Weiße) Männer dominieren den Kunstkanon und dies bereits seit Jahrhunderten.

Dieses Ungleichgewicht spiegelt sich auch in den Sammlungen der Vielzahl der Museen wider. In den wichtigsten Kunstmuseen der USA liegt der Anteil der männlichen Künstler bei etwa 87%. Zurecht fragten 1989 die Guerrilla Girls: «Do Women Have to be Naked to Get Into the Met. Museum?». Und dennoch liefen die Unternehmungen gegen die Unterrepräsentation von Frauen und weiteren marginalisierten Gruppen recht langsam an. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten bemühen sich – wohl auch gepusht durch „Me Too“ – nun auch verstärkt renommierte Häuser, der Ungerechtigkeit entgegen zu wirken.

Auch wenn die Kunstwissenschaft in ihrem Kenntnisstand wegen ihrer jahrhundertelangen Vernachlässigung dieses Aspektes hinterherhängt, so arbeiten zahlreiche Kunsthistoriker*innen, Kurator*innen und weitere Kulturschaffende an einer Neubewertung der Geschichte. Einen Anteil hat bei uns im Rheinland daran sicher auch die Ausstellung „Maestras. Malerinnen 1500-1900“.

Insgesamt 68 Werke von 51 Künstlerinnen – von Hildegard von Bingen bis Sophie Taueber-Arp, eine der Namensgeber*innen des Museums – werden in den modernen Ausstellungsräumen hoch über dem Rhein gezeigt. Entstanden ist die Ausstellung in Kooperation mit dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid mit zahlreichen internationalen Leihgaben aus privaten und öffentlichen Sammlungen. In Spanien, wo die Schau im vergangenen Winter zu sehen war, wurde beispielsweise anstelle von Hildegard von Bingen jedoch ein Werk Frida Kahlos gezeigt.

Ausstellungsansicht „Maestras“ © Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Foto: Mick Vincenz

Unterteilt ist die Ausstellung in fünf Themenblöcke: 1 Zwischen Licht und Schatten 1200-1700; 2 Vive l´esprit – ein Hauch von Freiheit 1700-1800; 3 Naturforscherinnen 1600-1800; 4 Rollen und Klischees 1800-1900 und 5 Moderne und Avantgarde 1900-1940, die lose chronologisch in 5 Raumabschnitten organisiert sind. Im Vordergrund der kuratorischen Entscheidung von Doktor Susanne Blöcker stehen die Frauen als Individuen.

Zwischen Licht und Schatten

Das erste Kapitel steigt mit Arbeiten aus dem Scriptorium ein. Das Kloster bot mancher Frau eine Möglichkeit zu Bildung und sogar eigenem Schaffen. Voll Selbstbewusstsein signieren Hildegard von Bingen oder Gisela von Kerssenbrock ihre Illustrationen. Ins Licht der Öffentlichkeit traten in der Renaissance auch weltliche Malerinnen. Viele von ihnen entsprangen Künstlerfamilien, wie auch die junge Sofonisba Anguissola. Ihre besondere Begabung führte sie bis an den Hof Philipps II. von Spanien, wo sie zwei Jahrzehnte als Hofportraitistin arbeitete. Artemisia Gentileschi ist vielleicht die bekannteste Künstlerin der Barockzeit und ihre von Caravaggio inspirierten dramatischen Inszenierungen prägten auch ihre Zeitgenossinnen. Als Jugendliche wurde sie Opfer mehrerer sexueller Übergriffe durch ihren Lehrer Agostino Tassi. Zwar auch zuvor ein von ihr aufgegriffenes Thema, malte sie nach diesen Ereignissen immer wieder Gemälde mit dem Motiv der Susanna und den Ältesten. Die existenzielle Not, in die eine Frau durch sexuelle Nötigung gerät, teilten die Protagonistin und die Malerin. Ein weiteres von Gentileschis beliebtesten Themen „Judith und Holofernes“ ist in „Maestras“ gleich mehrfach zu sehen. Fede Galizia stellt sich selbst als Judith dar, ebenso wie Lavinia Fontana. Eine Frau, die Verantwortung trägt und das Schicksal in die eigenen Hände nimmt – ein Sinnbild für all die starken Frauen in der Kunstgeschichte. Dieses Kapitel zeugt von einem steigenden Selbstbewusstsein der Frauen in der Kunst. Besonders in Italien, in Städten wie Bologna und Florenz, erfuhren die Künstlerinnen Ehre und Anerkennung – Errungenschaften, die die Kunstgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts wieder negieren sollte.

Hildegard von Bingen, Rupertsberger Codex – Liber Scivias, ca. 1175 Fol 14r: Miniatur „Das Weltall“, Original verschollen seit 1945, Handkopie auf Pergament, um 1930 © Abtei St. Hildegard, Rüdesheim-Eibingen, Foto: Mick Vincenz
Fede Galizia, Judith und Holofernes, ca. 1601-10 © Palacio Real de La Granja de San lldefonso, Segovia, Patrimonio Nacional, Madrid, Foto: Mick Vincenz
Artemisia Gentileschi, Büßende Maria Magdalena, 1622-25 © Privatsammlung, Norfolk, UK, Foto: Denisa llie

Vive l´esprit

Weitergeführt wird die Geschichte als Vive l´esprit, wo sich im 18. Jahrhundert das Mäzenatinnentum wie ein Schirm über Frauen im Fach der Kunst spannte: Regentinnen wie Maria Theresia oder Katharina die Große förderten speziell vornehmlich Künstlerinnen. Die ausgewählten Malerinnen in der Ausstellung zeigen die verschiedenen Facetten dieses Jahrhunderts voll sozialen Wandels. Die Leichtigkeit im höfischen Umfeld zeichnen die Bildnisse der aus Venedig stammenden Rosalba Carriera nach. Auf das Medium der Pastellmalerei spezialisiert und dieses prägend, war Carriera an diversen europäischen Höfen gefragt. In hellen, zarten Tönen zeichnet sie die Züge von Ludwig XV. als Thronfolger oder die ihres männlichen Kollegen Antoine Watteaus nach. Ebenfalls eine hochbegabte  Künstlerin war die Berlinerin Anna Dorothea Therbusch – Tochter des Bildnismalers Georg Lisiewski am preußischen Hof. Besonders war ihr lebendiges, rosiges Inkarnat, welches ihre Bildnisse ausgesprochen populär machte. Ihren Arbeiten wurde nachgesagt, dass sie für eine Frau „zu gut“ seien, weswegen sie von der Académie Royale abgelehnt wurden. Doch in der „High Society“ war sie begehrt. Repräsentant und Repräsentantin des aufgeklärten Absolutismus´, sowohl Friedrich der Große als auch Katharina die Große, betrauten Therbusch mit Portraits. In der Ausstellung „Maestras“ können Besuchende ein spätes Selbstportrait von ihr bewundern, welches die Künstlerin mit ernstem Blick zeigt – eine Frau mit imposanter Karriere. Auf eben eine solche konnte auch Angelika Kauffmann zurückblicken. Aufgewachsen am Comer See und vom Vater unterrichtet, galt sie schon mit sechs Jahren als Wunderkind. Sie zog – zunächst mit ihrem Vater – durch Italien und malte dort nach Aufträgen. Gleichzeitig förderte Joseph Johann Kauffmann auch ihre Karriere in England, indem er Werke nach London einschickte. In den Folgejahren wurde sie zum Mitglied in fünf Akademien berufen. Sie lebte und arbeitete erst in London, dann in Rom, doch war ihr italienisches Atelier Treffpunkt für Herder, Goethe, Herzogin Anna Amalia, die sie alle bewunderten. „Miss Angel“ war in ganz Europa bekannt und vor allem ihre Portraits populär. Doch Kauffmann erschließt sich auch das von Männern dominierte Genre der Historienmalerei. Kauffmanns „Ganymed und der Adler“ zeigt den in sanften Linien formulierten Ganymed, der emblemhaft in den Bildraum gefügt wurde – ein Beispiel ihres romantischen Klassizismus.

Ausstellungsansicht „Maestras“, © Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Foto: Mick Vincenz

Naturforscherinnen

Gewissermaßen einen kleinen Exkurs unternehmen Besuchende, wenn sie sich dem nächsten Raum und somit dem nächsten Kapitel zuwenden: 3 Naturforscherinnen 1600-1800. Flora und Fauna zu entdecken, damit assoziiert man vielleicht zuerst Alexander Humboldt und Maria Sibyllia Merian, die nicht nur eine herausragende Forscherin, sondern auch eine talentierte Künstlerin war. In Öl gebannt waren Blumen, Früchte und Kriechtiere seit der Zeit der großen Entdeckungsreisen ein einträgliches Geschäft. Gleichzeitig bot dieses Genre für viele Malerinnen aber auch eine größere Chance sich zu behaupten. Besonders in der Zeit des Barocks war Tugendhaftigkeit für Frauen und eben auch für Malerinnen elementar, sodass ihnen viele Türen verschlossen blieben, die ihren männlichen Kollegen offenstanden. Die Stilllebenmalerei war jedoch sittsam und tugendhaft und obwohl doch zumeist mit einem religiösen Tenor unterlegt und ikonographisch kodiert, galt sie von allen Gattungen als die niederste, da sie am wenigsten „schöpferische Leistung“ erfordere – klar, dass sie dann perfekt für das weibliche Geschlecht geeignet war… Doch die Frauen, die sich dieses Genres annahmen, haben dies auf meisterliche Art getan und so wurden viele von ihnen auch für ihre Leistungen herausragend vergütet. So viel wie Rachel Ruysch verdiente kaum jemand: mit bis zu 1000 Gulden wurden ihre Stillleben teurer gehandelt als manches Werk von Rembrandt. Geboren als Tochter eines Professors der Anatomie und Botanik, der früh ihr Talent erkannte und sie zu dem Maler Willem van Aelst schickte. Dank der Sammlung ihres Vaters, zeigen Ruyschs Sträuße einen bis dahin ungekannten Artenreichtum, wie eine Reise in ferne Länder. Botanisch und technisch ausgebildet, weisen ihre Gemälde eine ungeheure Detailversessenheit und große Könnerschaft auf. Man scheint der kleinen Echse den Genuss an den Augen ablesen zu können, mit welchem sie den Dotter aus einem winzigen Vogelei leckt, welches vor einem gigantischen Obst- und Blütengesteck aus einem Nestchen gefallen ist. Die ungemeine Plastizität aller Gegenstände und das Spiel mit Helligkeit und Dunkel waren maßgebend für Generationen anderer Stilllebenmalerinnen und -maler. Den Namen Fede Galizia haben wir zwar bereits im Zusammenhang mit den Judithdarstellungen gehört, doch auch in diesem Metier ist die Künstlerin vertreten: neben ihren ausdrucksstarken Bildnissen war sie auch für ihre meisterlich gemalten Früchtestilleben bekannt – besonders saftige Pfirsiche mit ihrer gelblich-rot gefleckten Schale kehren immer wieder in ihre Bilder zurück. Im Kanon werden diese Frauen oft vergessen, doch sie waren begehrte Meisterinnen ihres Faches und ihre Werke populär und bestens bezahlt.

Ausstellungsansicht „Maestras“, © Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Foto: Mick Vincenz

Rollen und Klischees

Einen kleinen chronologischen Sprung machend, landen die Besucher und Besucherinnen nun im 19. Jahrhundert, in welchem die Rollen der Geschlechter und die damit verbundenen Klischees wieder stärkere Betonung fanden. So viele Freiheiten die Aufklärung für die Gesellschaften brachte, so groß war auch der Einfluss von Rousseaus Worten, dass Frauen an den Herd gehörten. Die Tore der Akademien waren Frauen vielmals verschlossen, sodass sie auf Themen und Motive aus ihrer unmittelbaren Lebenswelt „auswichen“: Haus(arbeit) und Familie. Der Wert und die Identität stifteten sich allzu oft über ihr Dasein als Ehefrau und Mutter. Die Bindung von Mutter und Kind bei der Pariser Malerin Marie-Victoire Lemoine ist eher repräsentativer Natur. Bekannt vornehmlich für ihre Portraits und Miniaturen, konnte sie nach Öffnung des Pariser Salons auch für Frauen sechsmal dort ausstellen. Um das Jahr 1800 portraitierte Lemoine ihre Schwester mit deren Tochter. Doch so eng die familiären Bindungen auch waren, so sind sie auf dem Gemälde doch weit entfernt von der Innigkeit mit der zum Ende des Jahrhunderts Elin Danielson-Gambogi und Mary Cassatt diese Beziehung auffassen.

Ausstellungsansicht „Maestras“, © Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Foto: Mick Vincenz

Beide Künstlerinnen malen mit großer Empathie die Verbindung, die über den Körperkontakt und das Stillen zu einem Säugling entsteht. In diesen drei Mutter-Kind-Darstellungen zeigt sich zudem, welche immensen Veränderungen, Demokratiebestrebungen und sozialen Revolutionen das 19. Jahrhundert mit sich brachte. Die aus Finnland stammende Danielson-Gambogi und die US-Amerikanerin Cassatt hatten beide eine akademische Ausbildung absolvieren können: Die Ausbildung an Akademien lief im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an, wobei Deutschland mit der offiziellen Aufnahme 1919 zu den Ländern gehörte, die spät eine gleichwertige Lehre erlaubten. In den Gemälden von Cassatt und Danielson-Gambogi zeichnet sich zudem auch die neue Kunstauffassung ab, die sich im 19. Jahrhundert mit dem Realismus neben der Salonmalerei etabliert hatte. Mit diesen zwei Künstlerinnen blickt man auch auf neue Stile. Mary Cassatt zählt zu den bedeutendsten Impressionist*innen, Elin Danielson-Gambogi widmete sich neben diesem auch dem Symbolismus – doch beiden gemein ist die Widmung ihres Werkes: die Darstellung von Frauen in allen Facetten ihres Daseins. Frauen, die Frauen malen.

Mary Cassatt, Louise, ihr Kind stillend, 1898-99, Arp Museum Bahnhof Rolandseck / Slg. Rau für UNICEF, Foto: Mick Vincenz

Moderne und Avantgarde

Im fließenden Übergang wandeln die Besuchenden der Ausstellung anschließend in den letzten Themenblock: Moderne und Avantgarde. Schon Cassatt und Danielson-Gambogi fühlten sich von Paris angezogen und es wird immer mehr zum Zentrum der Moderne. Sie alle kommen nach Paris: Suzanne Valadon, María Blanchard, Alice Bailly, Paula Modersohn-Becke, Käthe Kollwitz und später auch Sophie Taeuber-Arp. Die Moderne eröffnet sich für immer mehr Motive, Techniken, Bildsprachen. Künstlerkolonien und -vereinigungen bieten Raum für Frauen und ihre künstlerischen Entwicklungen und Reisen. Obwohl noch keine Gleichberechtigung an Institutionen und Kunstmärkten herrschte (und bis heute nicht herrscht), so ist der weibliche Einfluss in der Moderne und Avantgarde jedoch zumindest besser nachzuzeichnen. Käthe Kollwitzes Art, Schmerz und die menschlichen Nöte bildlich auszudrücken, ist unnachahmlich. Ihr vom Vater früh erkanntes Talent wurde gefördert und sie studierte in München und Berlin, doch prägend für ihr Œuvre waren die Schrecken, Armut und Verluste, die ihre Mitmenschen und sie selbst erlebten. Auch Sonia Delaunay kam nach ihrer Ausbildung in Russland und Deutschland nach Paris, wo sie sich zunächst für den Impressionismus interessierte. Schlüsselerlebnis für ihr später so ungewöhnliches Werk war die zusammengesetzte Wiegendecke für ihren Sohn Charles, den sie gemeinsam mit ihrem zweiten Mann Robert Delaunay erwartete: Die aus zusammengefügten Stücken genähte Pelzdecke führte Delaunay weiter in die Abstraktion. Sie entwickelte sich innerhalb dieses Feldes immer weiter, sodass sie heute als maßgebende Figur der Geometrischen Abstraktion gilt. In „Maestras“ ist Delaunays Werk „Simultane Kleider (Drei Frauen, Formen, Farben)“ ausgestellt. Die drei Gestalten von Weitem besehen, gehen in der Geometrie der Form auf, erst bei räumlicher Nähe lösen sie sich aus ihrer Monumentalität heraus – in drei starke Frauen!

Ausstellungsansicht „Maestras“ mit Gemälde von Sonia Delaunay, Simultane Kleider (Drei Frauen, Formen, Farben), 1925 Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2024, Foto: David Ertl

Delaunay, Kollwitz und so viele andere Frauen prägten und prägen unsere Welt und unsere Kunstgeschichte. Es ist höchste Zeit, dass sie mehr gesehen werden, ihr Können, ihr Werk, ihr Einfluss und ihre Spuren honoriert werden. Die Ausstellung „Maestras. Malerinnen 1500-1900“ (25. Februar bis zum 16. Juni 2024) im Arp Museum trägt zu dieser Sichtbarwerdung bei. Sie setzt all´ diesen starken, facettenreichen und interessanten Frauen ein Denk-Mal!