„Hier, bitte!“, sagt das neue Künstlerbuch von Alwin Lay und präsentiert auf differenzierte Art und Weise sein Werk. Im Aufbau stecken subtile Hinweise auf größere Themen, die den Künstler beschäftigen.
Die Ende November erschienene Publikation zur Ausstellung PREGO (Braunschweig, Museum für Photographie, 20.03. – 30.05. 2021) von Alwin Lay setzt sich zum Ziel ein eigenständiges Künstlerbuch zu sein, das gleichzeitig alle bisherigen Arbeiten verzeichnet. Der Ausstellungstitel ist der Firmengeschichte von Rollei entlehnt, deren gleichnamige Reihe an Point-and-Shoot-Kameras Anfang der 1990er Jahre auf den Markt kam. Gleichzeitig aber ist „Prego“ im Wortsinn eine Umgangsformel und ein Angebot an das Gegenüber.
Im ungewöhnlichen Hauptteil des Buches werden als ein zusammenhängender Strang Lays Fotografien und Videostills entlang einer imaginierten, horizontalen Linie rhythmisch nebeneinander angeordnet. Diese Anordnung folgt einer klaren Regel: Die Bildzwischenräume entsprechen der 1,5-fachen Breite des vorangegangenen Bildes. So können kurz aufeinanderfolgende, hochformatige Fotografien auf querformatige Abbildungen mit großen Leerstellen folgen. Konsequenterweise werden dabei Buchfalz und Seitenränder nicht als Begrenzung begriffen. Die Regel der Bildfolge ist dem Seitenverhältnis der Lochung einer Filmrolle entnommen. Somit entstammt der Gedanke des Rhythmus, der sich hier in der Aneinanderreihung der Bilder zeigt, der Auseinandersetzung mit der Perforation des analogen Films.
Die Filmperforation beschäftigt Alwin Lay. In ihrer Erfindung sieht er einen wichtigen material-, film- und fotografiehistorischen Moment. Sie gewährleistet den präzisen und sicheren Weitertransport im System der Kamera. Dieses künstlerische und inhaltliche Bedürfnis einer exakten und schnellen Bildproduktion lag der technischen Entwicklung zugrunde und ist Schnittstelle zwischen Fotografie und Bewegtbild. Produktionstechnische Überlegungen und Materialfragen des Künstlers werden für die Betrachtenden also nicht nur in den Bildmotiven sichtbar, sondern setzen sich hier im weiteren Sinn in seiner außergewöhnlichen Reihung optisch im Buchkonzept fort. Alwin Lay arbeitet vor allem in Einzelbildern. Die durch das Buchdesign provozierte Lesart lässt es zu, diese Einzelbilder im Zusammenhang zu betrachten und das Thema Rhythmus auch inhaltlich zu beobachten. Die vereinheitlichten Bildformate in der Publikation unterstützen diesen Blick zusätzlich. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass Themen im Gesamtwerk in rhythmischen Abständen erscheinen und sich weiterentwickeln. Das impliziert nicht nur eine visuelle, sondern auch eine inhaltlich lineare Anordnung der Arbeiten. Obwohl das Werk ganzheitlich auf diese Weise dargestellt ist, entzieht sich das Buch bewusst der Form eines klassisch chronologischen Werkverzeichnisses.
Alwin Lay, Perforation, 80x65 cm, Pigment Print, 2021, VG-Bild 2021.
Generell ist, wie das Konzept des Buches, Lays gesamtes Werk durchsetzt vom sprichwörtlichen „doppelten Boden“. Alltägliche Gebrauchsobjekte wie Feuerzeuge, Zigaretten, Fotorollen oder eine Plastikgabel werden vor anonymen, grauen Bildräumen abgebildet. Aus ihrer gewohnten Umgebung entnommen, zeigen sie häufig einen von Lay konstruierten Prozessmoment, oft surreal, unplausibel, spielerisch und überraschend. Wenn sich die Gaggia Classic in der Glasvitrine im eigenen Kaffee ertränkt, oder das Bier aus einer Flasche an der Wand herausläuft, dann hat das etwas absurdes und humorvolles. Es steckt ein Augenzwinkern darin, ohne Banalität. Im Gegenteil, es ist ein stiller Bruch mit den klassischen Bildthemen der Fotografie. „Zwischen dem, was man sehen möchte, und dem, was man tatsächlich auf den Bildern sieht, stimmt etwas nicht. In dieser Leerstelle passiert etwas, das zum Nachdenken anregt“, sagt Alwin Lay und betont damit den konzeptionellen Ansatz seiner Inszenierungen.
Der Aufbau des Künstlerbuches deckt sich also mit diesen Merkmalen: Die Leerstellen, der Bruch mit der klassischen Darstellung, ein penibles Konzept und gleichzeitig die subtile Thematisierung von Fotografie- und Filmtechnik, sowie deren Grenzen und das Ausreizen von Bildraum und Bildsprache. Denn es stellt sich die Frage, was mit den Bildern passiert, wenn man sie in einem Buch rhythmisch nebeneinanderlegt und sie durch Vereinheitlichung an Größe und Bezug zu ihrer Umgebung verlieren.
Alwin Lay. PREGO, Museum für Photographie Braunschweig, 2021, Foto Alwin Lay.
Die Einzelausstellung im Braunschweiger Museum für Photographie im Frühjahr stand autonom gegenüber dem Künstlerbuch, trotz gleichem Namen. Eine Auswahl an Bildern wurde dort wieder in räumlichem Größenbezug dargestellt, nicht wie in der Publikation verdichtet und verkleinert. Auch der Rhythmusgedanke tauchte in der Hängung wieder auf.
Alwin Lay (*1984) lebt und arbeitet seit 2013 in Köln. Während seines Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf und an der KHM entwickelt er seinen eigenen Stil. Zuletzt waren Arbeiten von Lay in Einzelausstellungen u.a. im NAK, Aachen, untitled projects, Wien, Kunstverein Siegen, Nino Mier Gallery, L.A. Natalia Hug Köln - zu sehen und in Gruppenausstellungen im MUMOK, Wien, Kunsthalle Düsseldorf, Museum Morsbroich Leverkusen u.a. vertreten. Das Museum für Photographie Braunschweig richtete im Frühjahr 2021 die erste museale Einzelausstellung mit dem Titel PREGO aus.
Alwin Lay. PREGO, Museum für Photographie Braunschweig, 2021, Foto Alwin Lay.