Wenn es um unsichere Provenienzen von Kunstwerken in der Öffentlichkeit geht, werden die Themen oft und schnell sensibel. Es geht um Familienbesitz, politische Ideologien, um Geld, kulturelles Erbe und Restitution. Die Frage des Museum Ludwig nach Original und Fälschung unter seinen Sammlungsbeständen der russischen Avantgarde-Künstler*innen verschärft dabei im ersten Augenblick den Aspekt der Schuldzuweisung. Der sperrige Titel lässt sensations-affine Gemüter möglicherweise die Suche nach Opfer und Täter im großen Stil vermuten. Vor der Vernissage der Kölner Ausstellung brach die Galerie Gmurzynska wie als Bestätigung dessen bereits ein Verfahren vom Zaun. Sie verlangte Einsicht in die Gutachten, da sie als Vorbesitzerin zahlreicher Werke zu Recht um ihren Ruf fürchtete – und verlor in zweiter Instanz. Das Museum Ludwig hatte sich gegen den Beschluss des Kölner Amtsgerichts gewehrt. Es betrachtet sich als forschende Institution und somit als vor der Informationsfreiheit geschützt.
Entgegen möglicher Vermutungen also haben die Kuratorinnen Rita Kersting, stellvertretende Direktorin des Museums, und Petra Mandt, Restauratorin, eine erhellende und vor allem sachliche Gegenüberstellung von Werken mit fraglicher Authentizität und Originalen konzipiert. Die überlegte Rhetorik verbietet sich jeder Anschuldigung. Der Direktor des Museums, Yilmaz Dziewior, spricht von einer Art „Schule des Sehens“ bei der Frage, was mit den fraglich unauthentischen Kunstwerken nach deren Identifikation passieren soll. Sie seien „nicht zwingend weniger wert“, sondern im Gegenteil „edukativ“. Der Begriff „Authentizität“ schließt ein endgültiges Urteil über Original und Fälschung aus und untersagt einen möglichen Betrugsvorwurf. Darüber hinaus ist es schwierig die Vorbesitzer einiger der von Peter und Irene Ludwig erworbenen Kunstwerke zur Rechenschaft zu ziehen, schon alleine um sie zu schützen, da sie doch ehemals verbotene Kunst in den Westen gegeben hatten.
In den 1970er Jahren hatten die Ludwigs 600 Arbeiten russischer Künstler*innen aus den Jahren 1905 bis 1930 für das Museum erworben. Durch die Kunstdoktrin des Sozialistischen Realismus unter Stalin ab 1932 in der Sowjetunion blieb die Kunst der Avantgarde der Öffentlichkeit verborgen. Im Film zur Ausstellung erklärt der Kunsthistoriker Konstantin Akinsha wie gerade diese Umstände das westliche Interesse weckten und einen Massenschmuggel provozierten. So gelangten zahlreiche Kunstwerke, unter ihnen Fälschungen, faktisch ohne bekannte Provenienz auf den Markt. Vergleiche mit Originalen waren kaum möglich, da sie in sowjetischen Museen unter Verschluss gehalten wurden.
In der Ausstellung bieten Leihgaben aus dem Museum Thyssen-Bornemisza in Madrid oder der Costakis Sammlung des MOMus in Thessaloniki die ungewöhnliche Möglichkeit des direkten Vergleichs. Für die Besucher systematisch in seine einzelnen Arbeitsschritte zerlegt, wird auf einer Art Ablage vor den Werken die Authentizitätsprüfung dokumentiert. Gut nachvollziehbar, in kurzen Texten zusammengefasst sezierten die Wissenschaftler*innen die Kunstwerke auf Maltechnik, Stil, Material, Provenienzen und Kunsthistorische Zusammenhänge. Das der Künstlerin Ljubow Popowa zugeschriebene Werk Malerische Architektonik etwa passt auf den ersten Blick in ihre gleichnamige Serie aus 33 Werken. Ein dazugehöriges Zertifikat verweist auf eine zweite Version in der Sammlung Thyssen in Madrid. Selbst dem ungeschulten Auge drängt sich hier der vielleicht anschaulichste Unterschied der Ausstellung auf: Das gesicherte Stück von Popowa von 1918 aus Madrid leuchtet in Orange und Blau. Das gekippte Rechteck und die dahinter liegenden Formen weisen erhabene Textur auf und vermitteln Tiefe. Das Kölner Werk wirkt dagegen matt und flach, die Felder wie ausgemalt. Die kunsttechnologische Analyse bestätigt, dass sich die für Popowa typische komplexe Farbanlage und Pinselführung in Köln nur reduziert wiederfindet und die Künstlerin zudem für gewöhnlich weiße, statt ockerfarbene Grundierung wie hier im Bild verwendet. Darüber hinaus gibt es kein einziges Beispiel für eine fast identische Wiederholung eines ihrer Werke. Zusammen mit weiteren Hinweisen in Nummerierung und Signatur ließ sich aus der Prüfung schlussfolgern, dass es sich nicht um ein Werk von Ljubow Popowa handeln kann.
Strahlentechnische Untersuchungen können Farbschichten sichtbar machen, Pigmentmarker die Datierung eingrenzen oder ein fehlendes Craquelé Misstrauen erwecken. In vielen Gemälden konnte der Nachweis von Titanweiß eine Entstehung vor den 1930ern weitestgehend ausschließen, da dessen Pigmente zuvor nur vereinzelt hergestellt worden waren. Ähnliches gilt für andere synthetische Farbstoffe. Manchmal lässt gerade die Beteuerung der Echtheit auch zweifeln. Die Infrarot-Untersuchung des El Lissitzky zugeschriebenen Werkes Proun offenbarte den Teil eines Kunstdruckes nach einem Gemälde des deutschen Künstlers Ludwig Knaus von 1894 unter dem oberflächlich sichtbaren Kunstwerk. Der hochwertige Karton wurde grau übermalt, um darauf eine Variation von Lissitzkys Proun 12E von 1923 erscheinen zu lassen. Das Museum Ludwig resümiert: Auch hier fehlen auf dem Kölner Werk die für ihn typischen maltechnischen Feinheiten. Das Papier des Drucks könnte genutzt worden sein, um das Material der 1920er zu simulieren. Aber nicht jede Prüfung verläuft frustran. An der Stirnseite des Raumes prangen die berühmten Werke der Suprematisten Kasimir Malewitsch und Alexander Rodtschenko Supremus No 38 und Schwarz auf Schwarz. Sie sind der Beweis für eine ideal nachvollziehbare Provenienz. Die maltechnische Ausarbeitung und die Verwendung von asphalthaltiger Farbe lassen keinen Zweifel an deren Echtheit aufkommen. Kurze Filmsequenzen zeigen in Zusammenarbeit von verschiedenen Restaurator*innen Gewebeuntersuchungen, Material- oder Infrarotanalysen im Detail. Es sind zahlreiche weitere abstrakte und figurative Werke von Kliment Redko, Nikolai Suetin, Nina Kogan, Olga Rosanowa, Natalia Gontscharowa und anderen Künstler*innen zu sehen, deren Analysen sich alle voneinander unterscheiden.
Die Nachforschungen des Museum Ludwig decken keine Kunstmafia und keinen Beltracchi auf. Es geht um ein aktuelles, relevantes Problem in der Kunst- und Sammlungsgeschichte, das konstruktiv und vor allem transparent diskutiert werden soll — in der Wissenschaft, aber auch mit Besuchern und Besucherinnen.
Russische Avantgarde im Museum Ludwig – Original und Fälschung
Fragen, Untersuchungen, Erklärungen
bis zum 3. Januar 2021 im Museum Ludwig
Digitales Internationales Symposium am 6./7. November 2020 im Museum Ludwig
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